23.05.2012 Der selbstgerechte Irrtum eines Boris Palmer

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Ein Kommentar von @zwuckelmann zu dem am 23.05.2012 in der taz veröffentlichten Artikel

„Direkte Demokratie

Kopf oben, Bahnhof unten

Warum es wichtig ist, den Stuttgart-21-Volksentscheid anzuerkennen: Über einen angemessenen Umgang mit unangemessenen Wahlergebnissen“

Boris Palmer hat heute, am 23.05.2012 in der taz einen Artikel veröffentlicht, in dem er darlegt, dass der Widerstand gegen S21 zwar verloren hätte, dass das aber kein Grund sei, den Kopf hängen zu lassen. In einer perfiden Argumentationskette schwenkt er erneut auf die Linie der Landesregierung ein, die – man kann es nicht anders sagen – den Widerstand gegen S21 zum Machtgewinn bzw. Machterhalt verraten hat! S21 war, und das ist das Schmerzhafte daran, williger Steigbügelhalter der Grün-Roten Landesregierung und wurde, sobald der Reiter auf dem Ross saß, zu boden geworfen. Palmer tritt nun noch einmal kräftig nach – nicht ohne unseren Einsatz im gleichen Atemzug noch einmal zu loben. Doch: nochmals Steigbügelhalter zu spielen, das werden wir nicht, darauf können Sie, Herr Palmer, Gift nehmen!

Wenn ich nicht schon so sehr enttäuscht über die Grünen wäre und sie nie wieder wählen würde – spätestens dieser Artikel würde mich zu der Überzeugung bringen, dass ich die Grünen nie, nie wieder wählen kann! Und das nicht etwa, weil das Parteiprogramm oder die Leute schlecht wären, nein! Sondern einfach deshalb, weil die Grünen es fertig bringen, in einer Dreistigkeit ihre Wähler zu verarschen, wie es wahrscheinlich nicht einmal die CDU fertig bringt. Mit dem einen Unterschied: dass die Grünenanhänger es vielleicht mit sich machen lassen!

Doch nun zum Text. Im Folgenden zitiere ich Palmer aus diesem Artikel und kommentiere gleich darauf.

Der Text leitet mit dem für einen rationalen Menschen eigenartig anmutenden Satz ein: „Stuttgart 21 bleibt ein Fehler, aber den müssen wir jetzt machen.“ Da muss man sich fragen: Warum muss man bewusst Fehler machen? Wie kommt Herr Palmer darauf, dass man offensichtlicher Fehler machen müsste? DAs widerspricht jeglicher Vernunft!

„Im Kern läuft die Argumentation (der Gegner; Anmerkung von Zwuckelmann) darauf hinaus, dass die Bevölkerung hinters Licht geführt worden sei und sich anders entschieden hätte, wenn sie nur die Wahrheit erfahren hätte.“ Ob sie sich anders entschieden hätte, ist aber doch gleichgültig! Es reicht schon allein, dass die Bevölkerung beim Volksentscheid hinters Licht geführt wurde, um diesen nicht anzuerkennen! Dabei ist es müßig, darüber zu spekulieren, wie ein Ergebnis aussähe, wenn es denn anders gewesen wäre.

Palmer suggeriert, dass wir nur auf die Straße gegangen wären, weil wir glaubten, eine Mehrheit der Bevölkerung stünde hinter uns. Wir demonstrierten und demonstrieren aber nicht, weil wir glauben oder hoffen, eine Mehrheit hinter uns zu haben! Wir demonstrieren, weil wir das Projekt für falsch halten! Größenverhältnisse sind dabei vollkommen gleichgültig. 

Es folgt eine Analyse der Ergebnisse auf regionale Gegebenheiten.

…“ dass all die guten Argumente für den Kopfbahnhof und gegen den Engpass unter der Erde gar nicht fruchten konnten, weil sie für viele Menschen im Land gar keine Rolle spielten.“ Genau! Und zu Recht! Deshalb war es verkehrt, eine VA durchzuführen! Und deshalb stellen wir die VA in Frage! Der Bahnhof in Stuttgart betrifft eben nur die Stuttgart und nicht ganz Baden-Württemberg – aber für Palmer scheint das keine Frage zu sein.

„Wer die CDU am Wahlabend erlebt hat, weiß, dass sie die Volksabstimmung als Revanche für die Niederlage bei der Landtagswahl begriffen und entsprechend genutzt hat. Dass die waidwunde CDU so hoch motiviert für Stuttgart 21 mobilisierte, dazu haben wir mit „Lügenpack“-Parolen selbst beigetragen.“ Ein Beleg mehr, wie falsch die VA war. Und ein Grund mehr, warum die VA so ausgegangen ist, wie sie ausgegangen ist. Dass sich im Ausgang ein Votum für oder wider S21 spiegeln würde, ist damit ausgeschlossen! Und genau deshalb zweifeln wir die VA an!

„Die teilweise mythische Überhöhung des Widerstands hat viele Menschen abgeschreckt. Ganz sicher kann man das von Demonstrationen sagen, die durch Blockaden von Hauptverkehrsstraßen den Verkehr in der Innenstadt zum Erliegen gebracht haben. So manches Nein war ein Nein zu Staus am Montagabend.“ Wir demonstrieren nun schon seit 124 Wochen … so langsam sollte auch dem letzten Stuttgart klar sein, dass er Montags Abends zwischen 18 und 19 Uhr nicht über die Schillerstraße fahren sollte. Die Argumentation ist perfide und absolut lächerlich, denn Demonstrationen sind öffentlich, sollen gesehen, gespürt werden! Palmers Äußerung klingt so, als ob ganz Stuttgart wegen der Montagsdemo lahmgelegt würde! Wenn etwas mythisch überhöht ist, dann diese Aussage Palmers!

„Dem Verkehrsministerium wird immer wieder vorgeworfen, es habe keine Studie zur wahren Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs beauftragt und damit die Abstimmung fast schon verloren gegeben. Wenn meine Analyse zutrifft, hätte diese Studie aber die Neinsager überhaupt nicht beeinflusst, weil die Leistungsfähigkeit des Bahnhofs sie einfach nicht interessiert hat.“ Und das ist genau das Problem: es wurde ja nicht einmal versucht! Es wurde keine Studie durchgeführt, man hat es nicht auf einen Rechtsstreit mit der Bahn ankommen lassen – man hat gezahlt und das Maul gehalten. Da kann Palmer analysieren, was er will! Und nein, Herr Palmer, Ihre Analyse trifft nicht zu!

„Auch wenn es stimmt, dass nicht alle grünen Abgeordneten Stuttgart 21 für das Zentrum des Regierungshandelns halten (womöglich zu Recht), kann ich für den Ministerpräsidenten und den Verkehrsminister die Hand ins Feuer legen. Ich war von den Koalitionsverhandlungen bis zum Nachmittag der Abstimmung in alle wesentlichen Strategiebesprechungen eingebunden und habe viele Telefonate geführt. Winfried Kretschmann und Winfried Hermann haben das Versprechen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Projekt zu beenden, eingelöst. Sie mussten aber feststellen, dass diese Macht begrenzt ist. Und ehrlich gesagt: Darüber sollten wir froh sein, denn das ist Demokratie.“ Wenn dem so war, so kann man sich über diesen Politikstik nur wundern, denn gemerkt hat von diesen Bemühungen offensichtlich keiner etwas. Die angeblichen Bemühungen haben nichts bewirkt, nicht mal einen Hauch einer Irritation bei Bahn oder der SPD, so dass man mit Fug und Recht bezweifeln darf, dass so etwas überhaupt stattfand. Kretschmann wollte die Macht, Herrmann musste dafür schweigen – so scheint es und Palmer kann dass nicht widerlegen.

„„Doch halt! Diese Abstimmung war eine Farce“, schallt es mir immer lauter entgegen. Warum durfte nicht Stuttgart selbst über seine Innenstadt abstimmen? Wie sollte man das Zustimmungsquorum überhaupt erreichen? Das sind berechtigte Fragen, doch sind auch diese durch das Ergebnis der Abstimmung beantwortet. Wenn eine Mehrheit im Land oder wenigstens in der Stadt gegen das Projekt gestimmt hätte, ließe sich darüber trefflich streiten.“ Naja, ich habe große Energie in den überregionalen Wahlkampf gesteckt, weil ich Stuttgart für einigermaßen sicher hielt. Wären wir hier in Stuttgart geblieben und hätten all unsere Kraft und Energie nur in Stuttgart eingebracht, wir wären in Stuttgart wesentlich erfolgreicher gewesen! Deshalb bleibt der Vorwurf der Farce durchaus gerechtfertigt!

„Die Beteiligung war so groß, besonders in Stuttgart, dass man das Ergebnis akzeptieren muss. Wenn die unterlegene Minderheit in der Demokratie nicht akzeptiert, was die Mehrheit entschieden hat, bricht unser Gesellschaftsvertrag auseinander.“ Das ist aber großer Stuss! In einer Demokratie muss es möglich sein, auch gegen Mehrheitsentscheidungen auf die Straße zu gehen! Dafür leben wir in einem Rechtsstaat! Es wäre fatal, wenn Mehrheitsentscheidungen nicht mehr angreifbar und nicht mehr zu revidieren wären! Was ist das für ein Politikverständnis des Herrn Palmer! Mir wird angst und bange!

„Deshalb erwarte ich von meiner Regierung und den Grünen, dass sie kritisieren, was zu kritisieren ist, aber das Projekt jetzt gegen meinen Willen und gegen alle Argumente umsetzen.“ Das Problem ist aber doch, dass die Grünen nicht einmal mehr kritisieren! S21 interessiert sie nicht mehr, sie wollen Ruhe an dieser Front – und dazu soll Palmers Artikel auch dienen.

„Stuttgart 21 kann politisch nicht mehr gestoppt werden. Aber das Projekt kann sehr wohl an seinen eigenen Mängeln scheitern. Planungsfehler und Kostenexplosionen werden immer offensichtlicher.“ Ganz im Gegenteil: S21 ist politisch gewollt und kann nur politisch gestoppt werden, nämlich nur dann, wenn die Politik, sprich Landesregierung, Stadt und Region sich von dem Projekt verabschieden! Mängel, Planungsfehler und Kostenexplosion können hierfür nur der Anlass sein! Herr Palmer, wir lassen die Politik, wir lassen die Grünen nicht aus ihrer Verantwortung, auch wenn Sie das gerne hätten!

„Das hilft dem Südflügel nicht mehr. Und auch nicht den Bäumen im Park. Diese traurige Realität muss man hinnehmen, nicht still, aber friedlich.“ Herr Palmer, nennen Sie mir eine Situation, in der der Protest nicht friedlich verlief! Warum wollen Sie glauben machen, wir wären nicht friedlich?

„Für den Bahnverkehr besteht aber noch immer Hoffnung. Die beginnende Debatte um die Streckenführung am Flughafen Stuttgart im „Filderdialog“ zeigt, dass zumindest die teure Zerstörung der Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart nicht zwingend Realität werden muss.“ Das ist einfach nur noch lächerlich! Der Filderdialog findet vorerst nicht statt – und die Farce einfach so weiterzutreiben, ist billig und entblöst das machtbessesene Gebaren der Grünen!

Es ist ganz offensichtlich, was Palmers Artikel bewirken soll: Wir, die gläubigen Wähler der Grünen, die wir so große Hoffnungen in diesen Regierungswechsel im Land gehabt haben, sollen glauben, dass die Grünen alles getan hätten, um S21 zu verhindern, dass wir nun aber bitte ruhig und still und endlich auch friedlich sein sollen und das Projekt über uns ergehen lassen sollen. Gleichzeitig wird vorgebaut, dass selbst bei einer Kostenexplosion die Politik nichts mehr tun könne. Herr Palmer verlangt in diesem Artikel die Generalabsolution – und die werde ich ihm und den Landesgrünen ganz sicher nicht geben! Die Grünen, auch ein Herr Palmer trägt die Verantwortung für S21 und alles, was mit dem Versuch seiner Realisierung kommen wird! Aus dieser Verantwortung entlassen wir sie aber nicht! Weder Herrn Palmer noch die Landesregierung!

Nein, Herr Palmer, nicht nur der Kopf, sondern wir und auch der Bahnhof bleiben oben!

Link zum Original Text Zwuckelmanns Meinung