Äußerst widerspruchsfrei

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schwarzer donnerstag 1Die politische und juristische Aufarbeitung des 30.09.2010, des schwarzen Donnerstags, gestaltet sich ausgesprochen zäh. Sowohl bei der Polizei als auch bei beteiligten Politikern und Beamten tun sich kollektive Erinnerungslücken auf. Und immer wieder zeigt sich, dass  Akten gefälscht oder sogar ganz zurückgehalten wurden. Unabhängig vom 30.09. ist allein dieser Vorgang ein weiterer Skandal im verfilzten Politikbetrieb Baden-Württembergs. Ein Kommentar von Zwuckelmann.

Unter dem Stichwort »Untersuchungsausschuss« kann man im Politiklexikon lesen: »Aufgrund des Enqueterechts von der gesetzgebenden Gewalt (…) eingerichtetes Hilfsorgan zur Untersuchung und Kontrolle spezifischer Regierungsvorgänge oder von Missständen, Unregelmäßigkeiten etc. Untersuchungsausschüsse werden für einen bestimmten Zeitraum eingesetzt und v. a. von der Opposition zur (nachdrücklichen) öffentlichen Konfliktaustragung mit der Regierung genutzt. Mitglied in Untersuchungsausschüssen können nur Abgeordnete sein. Sie können Sachverständige, Zeugen etc. anhören, Hintergründe und Beweise erheben, verfügen aber über keine richterliche Gewalt. Die Besetzung der Untersuchungsausschüsse orientiert sich an der Stärke der jeweiligen Fraktionen.«

Ich bin kein Spezialist in der Juristerei und auch kein Experte für administrative oder politische Prozesse. Wenn jedoch ein Regierungsbeauftragter eingesetzt wird, um einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorzubereiten, gehört es ganz bestimmt nicht zu den Aufgaben eben dieses Regierungsbeauftragten, Akten, die für den Untersuchungsausschuss zusammengetragen werden müssen, »widerspruchsfrei« aufzubereiten. Das kommt einer Säuberung gleich, einer Fälschung von Beweisen. Die Missstände und Unregelmäßigkeiten, also genau die aktenkundigen Widersprüche, die der Untersuchungsausschuss aufklären soll, werden geschönt, ausgebügelt oder so zur Unkenntlichkeit verzerrt, dass der Untersuchungsausschuss ins Leere läuft.

Genau so ist es dem ersten Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz im Schlossgarten vom 30.09.2010 ergangen. Es konnte keinerlei politische Einflussnahme aus den Akten abgeleitet werden — was nicht wundert, wenn eben diese Akten »widerspruchsfrei« von einem Regierungsbeauftragten aufbereitet, also auf die Linie der verantwortlichen Regierung getrimmt wurden. Und diese Linie hieß: es hat keinerlei politische Einflussnahme gegeben! Der zweite Untersuchungsausschuss darf deshalb nicht nur nach der Aktenlage urteilen, sondern muss den vorgelegten Akten selbst misstrauen. Was ist original und was gefälscht? Nur durch Zufall, nur durch Glück wurde nun ein Widerspruch in den Akten rekonstruierbar. Man kann jedoch davon ausgehen, dass ganze Arbeit geleistet wurde. Man muss davon ausgehen, dass viele weitere Akten verändert wurden oder ganz verschwunden sind, wenn diese Zweifel an der offiziellen Regierungslinie aufkommen ließen. Vor diesem Hintergrund wäre es nur gerecht, dass nun endlich die E-Mails vom damaligen Ministerpräsidenten Mappus dem Untersuchungsausschuss zugänglich gemacht würden. Dass sich die CDU, die ja auch den Regierungsbeauftragten gestellt hat, so vehement gegen die Weitergabe von Mappus’ E-Mails  sperrt, hat weniger mit dem Pochen auf Datenschutz zu tun (den die CDU ansonsten ja auch nicht als so wichtig ansieht), sondern vielmehr mit dem Schutz der Person Mappus und vor allem auch mit dem Schutz der damaligen Regierungspartei CDU vor der unbequemen Wahrheit.

Dass ein solcher Eingriff, eine solche Fälschung von Beweisen folgenlos bleiben kann, ist ein weiterer Skandal in der zähen juristischen und politischen Aufbereitung des schwarzen Donnerstags. Aber wenn nun auch sogar Bundesgesetze geändert werden, um Stuttgart 21 zu realisieren, scheint fast nichts mehr unmöglich.

Hätte ich einen Wunsch frei, ich wünschte mir einen Whistleblower auch in dieser verschworenen Angelegenheit! Einen mutigen Mitarbeiter, der Zugriff auf Mappus’ Festplatte hat und diese zum Beispiel an die Kontext:Wochenzeitung weiterleitete! Nicht nur für den Untersuchungsausschuss, auch für den Prozess gegen die Führer der Wasserwerfer wäre dies sicher außerordentlich erhellend und der Gerechtigkeit förderlich. Denn um nichts anderes geht es sowohl im Untersuchungsausschuss als auch in dem Prozess: um Gerechtigkeit!

P.S. Übrigens gibt es nun eine großartige Seite zum Wasserwerfer-Prozess, in dem wirklich sämtliche Infos zusammengetragen wurden und werden. Danke dafür!

12.10.2014 – zwuckelmann

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