Amtsgerich​t bietet folgenschwe​ren Deal an

4
4297

IMG_7020Der 20.06.2011, der in den Medien gerne als „Erstürmung“ des GWM bezeichnet wird, hat für viele Gegner von Stuttgart 21 ein juristisches Nachspiel. In den letzten Wochen und Monaten erhielten viele von uns Post vom Amtsgericht Stuttgart. Bekannt sind uns bisher zwei Ausführungen von Briefen: Einige von uns erhielten einen Strafbefehl wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch, andere erhielten einen Brief zu einem laufenden Strafverfahren „wegen Hausfriedensbruchs u.a.“

Das erste Schreiben, das bereits vor einigen Wochen verschickt wurde, enthielt die Mitteilung, dass die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch beantragt habe. Diesem Brief lag ein bereits ausformulierter Strafbefehl bei, dem einzig noch die urkundliche Unterschrift zur Rechtskraft fehlt. Über den Antrag des Erlasses dieses Strafbefehls sei aber noch nicht entschieden worden. Der Strafbefehl zeigt den Betroffenen auf, was auf sie zukäme, wenn dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zugestimmt würde. Gleichzeitig bot das Gericht in dem Brief einen Deal an: Das Verfahren könne gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe der im Strafbefehl beantragten Geldstrafe an eine gemeinnützige Organisation eingestellt werden. Einer Einstellung müsste jedoch noch die Staatsanwaltschaft letztinstanzlich zustimmen.

Da die Geldstrafen in vielen Fällen bei 120 Tagessätzen liegen (bei einigen mehr, bei anderen weniger), also in aller Regel über mehrere Tausend Euro betragen, sprechen wir hier nicht von einer Lappalie oder einem Bußgeld. Ab einer Strafe von 90 Tagessätzen wird die Strafe ins polizeiliche Führungszeugnis eingetragen, so dass man dann als vorbestraft gilt. Gerade dieser Punkt ist der Grund dafür, dass einige der Beschuldigten sich überlegen, auf den Deal des Amtsgerichts einzugehen und die Geldstrafe zu zahlen. Denn dadurch entgehen sie einem Prozess, vor allem aber entgehen sie einer Vorstrafe. Steht man im Beruf oder ist auf Jobsuche, kann eine Vorstrafe je nach Branche und Tätigkeit ein KO-Kriterium sein, also schwerwiegende Folgen für das zukünftig Auskommen haben. Insofern sind derartige Überlegungen berechtigt. Voreilig sollte hier aber niemand handeln.

Das zweite, aktuellere Schreiben, das in den letzten Tagen verschickt wurde, enthält die Mitteilung, dass ein Strafverfahren „wegen Hausfriedensbruchs u.a.“ gegen den Empfänger des Briefs und anderen geführt würde. Bei diesen erwäge das Gericht „wegen geringen Verschuldens“ die Einstellung des Verfahrens gegen die Zahlung einer nicht näher spezifizierten Geldauflage. Diese richte sich nach dem individuellen Einkommen. Wie hoch die Geldauflage ist, erfährt man erst, wenn man seine grundsätzliche Bereitschaft zur Einstellung des Verfahrens signalisiert und dem Gericht sein Einkommen mitteilt.

Wir können keine juristische Rechtshilfe geben und ersetzen nicht den Gang zum Anwalt. Dennoch sollen einige Aspekte angerissen werden, die für die individuellen Überlegungen der Betroffenen in dieser Sache wichtig sein können.

1. Die Frage der Schuld

Der Deal des Amtsgerichts mag für viele verlockend klingen, entgeht man doch einem anstrengenden Gerichtsverfahren und einer eventuellen Vorstrafe. Jedoch bedeutet die Annahme des Deals keinen Freikauf von einer Schuld. Im Gegenteil wird die Staatsanwaltschaft ihrerseits dem Deal wahrscheinlich nur zustimmen, wenn gleichzeitig ein Schuldeingeständnis vorliegt bzw. vom Beschuldigten nicht explizit erklärt wird, dass mit der Annahme des Deals kein Schuldeingeständnis einhergeht. Was es für diejenigen, die es auf ein Verfahren ankommen lassen, bedeutet, wenn einige andere Gegner durch Annahme des Deals ihre Schuld eingestehen und damit die im Strafbefehl beschriebenen Sachverhalte quasi bestätigen, kann nicht abgeschätzt werden.

2. Die Frage der Reaktion von Staatsanwaltschaft und Richterschaft

Die Annahme des Deals durch den Beschuldigten heißt nicht, dass es tatsächlich auch zu keinem Strafverfahren kommt. Denn auch wenn der Betroffene auf den Deal eingehen möchte, muss dem die Staatsanwaltschaft noch zustimmen. Offiziell wird der Versuch, auf diesen Deal einzugehen, dem Beklagten in einem Verfahren nicht negativ ausgelegt. Jedoch ist natürlich nicht auszuschließen, dass ein solcher Versuch für den Beschuldigten nicht doch implizite, also nicht offen dargelegte negative Folgen in einem Verfahren haben wird.

3. Die Frage der zivilrechtlichen Folgen

Die Annahme des Deals heißt nicht, dass damit alles in dieser Sache vorbei wäre. So oder so müssen die Beklagten damit rechnen, dass sie nach Abschluss der anhängigen Strafverfahren auch zivilrechtlich belangt werden. Denn es kann sein, dass die Bahn oder ihre Versicherungen, die für die Sachschäden aufgekommen sind, auf dieselben S21-Gegner zivilrechtlich zugehen und Schadenersatz fordern. Diese Klage ist natürlich auch dann möglich, wenn der Deal des Amtsgerichts angenommen wird. Der Deal bezieht sich nur auf den Straftatbestand des Landfriedens- bzw. Hausfriedensbruchs. Dass ein Schuldeingeständnis durch Annahme des Deals oder auch eine Verurteilung im Strafverfahren sich nicht positiv auf die Situation im Zivilverfahren auswirken wird, sondern die Position des Beklagten schwächt, sollte jedem klar sein. Auch wenn beide Verfahren formal getrennt anzusehen sind und komplett getrennt verhandelt werden müssen. Seit langem hat es den Anschein, dass sich vor allem die Stuttgarter Richter untereinander höchst loyal verhalten und einmal getroffene Urteile bei Verfahren gegen S21-Gegner in weiteren Instanzen eher selten revidieren, auch wenn sie noch so abenteuerlich begründet sind. Wird ein Beschuldigter im Strafprozess zum 20.06.2013 schuldig gesprochen, ist es deshalb eher unwahrscheinlich, dass in einem anschließenden Zivilprozess zum Schadenersatz ein Freispruch erfolgen wird.

4. Die Frage der Höhe der Strafe

Die Höhe der Strafe wird bei Eingehen auf den Deal nicht geringer. Die Anzahl der Tagessätze, die im Strafbefehl genannt sind, bleiben bestehen, allein die Höhe des Tagessatzes wird an die aktuellen Einkommensverhältnisse angepasst. Wenn man also den Deal annimmt, nimmt man sich die Chance, dass ein Gericht ein geringeres Strafmaß in seinem Urteil ansetzt. Gerade bei einem einsichtigen Verhalten des Beschuldigten ist es oft möglich, die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafhöhe herabzusetzen. Wird die Strafe bei den Verfahren wegen Landfriedensbruchs zum Beispiel auf bis zu 90 Tagessätze reduziert, kommen die Beschuldigten nicht nur wesentlich billiger davon, sondern sie sind dann auch nicht vorbestraft. Wie realistisch es ist, dass bei einer beantragten Höhe von 120 Tagessätzen die Strafe nochmals höher ausfällt, kann natürlich nicht beantwortet werden. Genauso wenig lässt sich über das Strafmaß der aktuelleren Briefe des Amtsgerichts etwas sagen, da hier keine Tagessätze genannt sind. Die Chancen, in einem Verfahren die von der Staatsanwaltschaft meist recht hoch angesetzten Strafmaße zu reduzieren, sind erfahrungsgemäß recht gut. Freisprüche hingegen scheinen bisher so gut wie ausgeschlossen zu sein.

Wir kennen die Unberechenbarkeit der Stuttgarter Justiz und können deshalb leider nicht mit dem gesunden, auch nicht mit dem gesunden juristischen Menschenverstand an diese Sache herangehen. Insgesamt scheint es jedoch so, dass die Beweislage der Staatsanwaltschaft trotz meterlanger Akten und Tausenden von Bildern eher dünn ist. So ist inzwischen nicht mehr von „schwerem Landfriedensbruch“ die Rede, sondern nur noch von Landfriedensbruch in Tateinheit mit Hausfriedensbruch. Ob diese Einschätzung bis zum Ende der Verfahren zu halten sein werden, bleibt fraglich.

Allen, die vom Amtsgericht einen Deal angeboten bekommen haben, raten wir deshalb: Geht zu einem Anwalt! Lasst Euch auf jeden Fall juristisch beraten, bevor Ihr Euch entscheidet. Ein Anwalt kann Akteneinsicht beantragen. Erst mit dieser lässt sich die individuelle Lage gerade in Bezug auf vorhandene Beweisbilder oder -videos einschätzen und entscheiden, wie man am besten weiter vorgeht.

Also: Informiert Euch gut und entscheidet dann! Und denkt dran: Ihr seid nicht allein!

zwuckelmann – 28.11.13

4 Kommentare

  1. habe gestern auch so einen brief bekommen soll an eine gemeinnützige einrichtung was zahlen das geht die höhe meines einkommen aus und da wird das ganze fallen gelssen.
    ich empfinde das glatte erprssung seitens des gerichtes so seh ich das .behrendt

  2. Eine sehr gute Zusammenstellung der rechtlichen und strategischen Aspekte. Ich würde noch einen 5. Punkt anführen:
    Zwischen Amtsgericht und Landgericht hatte es einen Zuständigkeitsstreit gegeben, der als Hintergrund auch den Platzmangel und Zeitaufwand zur Durchführung der Verfahren hatte. Das Landgericht machte dann den Vorschlag, erstmal einer großen Zahl von Betroffenen die Zahlung von Geldbeträgen zum Zwecke der Einstellung anzubieten, weil so erfahrungsgemäß die Anzahl der Verfahren reduziert werden könne.

Kommentarfunktion ist geschlossen.