Kommentar zur 200. Montagsdemo

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von Alexander Schäfer

Glaubt man der meist verbreiteten Rechnung, dann treffen sich die bewegten Bürger gegen Stuttgart 21 am Montag zum 200.sten mal. Aber selbst bei dieser Frage gibt es unterschiedliche Meinungen! Mancher rechnet dass es die 199. ist, andere rechnen dass es die 201. sein wird. Tatsache ist zwar das seit dem 26.10.2009, der ersten Montagsdemonstration (vor dem Nordflügel des Stuttgarter HBF), 215 Montage vergangen sind, aber auch das bringt in der (eigentlich nicht wirklich wichtigen) Frage nicht weiter. Meinungen sind wichtig! Sich mit den Unterschiedlichen Sichtweisen zu beschäftigen hilft sich selbst ein Bild zu machen. Was sonst bleibt, wenn man sich dafür keinen Raum und Zeit lässt, ist einfach Behauptungen zu glauben ohne darüber nachzudenken.

Stuttgart 21 war schon immer eine „Frage des Glaubens“ – nicht im kirchlichen Sinn,  selbst wenn so mancher Politiker in der Geschichte des Protests dies segnender Weise gewünscht hat, den es ging immer eigentlich darum „glaubt man der Bahn“ oder „glaubt man anderen warnenden Stimmen und Fachleuten“. Auch Zahlen waren oft eine solche Frage – glaubt man nun den Veranstalter-Zahlen oder den Polizei-Zahlen – glaubt man nun der Plakatierten Meinung oder den Gegnern bei der Volksabstimmung – glaubt man den „Baumpaten“ oder der PR-Show – glaubt man den Betroffenen oder den Behauptungen der Öffentlichen Aussagen zu Verletzten usw.

Neben den Zahlen war aber auch eine andere Frage immer wieder heiß diskutiert und pünktlich zur 200. Demo taucht sie auch wieder auf – Wo sollte die Montagsdemo stattfinden? Sie wurde und wird immer wieder intensiv in der Bewegung selbst gestellt aber dieses mal stellt sie der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer gegenüber der StN. Er behauptet die Belastungen der Bevölkerung wären nicht mehr zumutbar. Dabei glaubt man dann den Behauptungen einer Bank welche ihre angeblich nicht mehr durchführbaren Veranstaltungen evtl. nur aus diesem Grund auf einen Montag Abend gelegt hat. Oder man glaubt der SSB welche als eine der Projektbefürworter wahrscheinlich genug andere Gründe hat, den Verkehr an einem Montagabend nicht besser zu regeln. (Es wurden z.B. schon Demos auf den Anzeigetafeln des SSB Netzes angezeigt – damit Verspätungen „erklärt“ und damit Stimmung gemacht obwohl es gar keine gab!)

Natürlich könnte man auch einfach Studien des Mobil in Deutschland e.V. im ersten und zweiten Quartal 2013 glauben. Dann würde man erkennen dass Stuttgart in der Tat ein großes Problem im Nahverkehr hat, ABER dies hat offensichtlich nichts mit Demonstrationen am Montag zu tun! Die Studie ist ein Armutszeugnis für die Stadtplaner in Stuttgart und auch für den Gemeinderat der die immer größer werdenden Baustellen in der Innenstadt zulässt, denn dort schneidet Stuttgart im Vergleich zu anderen Großstädten am schlechtesten ab:

Quartal 1 „STUTTGART – 33%: Die schlimmsten Stautage und Stauzeiten sind in Stuttgart der Dienstag Abend und Donnerstag Morgen. Der Montag Morgen dagegen ist in Stuttgart vergleichsweise stauarm. Fährt man während der Rush-Hour, braucht man für die gleiche Strecke 38 Minuten länger. Und aufs Jahr gerechnet, muss ein Berufspendler, der einen 30-minütigen Anfahrtsweg hat, mit insgesamt 89 Stunden Verzögerung rechnen. NOTE 6“

Quartal 2 „STUTTGART – 30%: Die schlimmsten Stautage und Stauzeiten sind in Stuttgart der Dienstagmorgen und Donnerstagabend. Der Freitagmorgen dagegen ist in Stuttgart vergleichsweise stauarm. Fährt man während der Rush Hour, braucht man für die gleiche Strecke 36 Minuten (39 Min.) länger. Und auf‘s Jahr gerechnet muss ein Berufspendler, der einen 30-minütigen Anfahrtsweg hat, mit insgesamt 86 Stunden (90 Std.) Verzögerung rechnen. Ansonsten gibt es in Stuttgart eine leichte Verbesserung auf einem immer noch sehr schlechten Niveau. NOTE 5“

non commercial use - source and © TomTom International B.V.
non commercial use – source and © TomTom International B.V.

Lädt man sich den TomTom Bericht für Europa 2013 (PDF) herunter, zeigt sich im Wöchentlichen Stau Model sogar deutlich das gerade der Montag Abend eine der Stau ärmsten Zeiten ist! Genauso kann man sich auch selbst ein Bild vor Ort machen – schaut man sich die Abende in der Stuttgarter Innenstadt an erkennt man sehr schnell das es Montag Abend nicht viel anders aussieht wie am Rest der Tage. Einfacher ist es das zu glauben was einem gefällt (so man sich z.B. eh gerne wegen den Demonstrationen aufregt, oder selbst ungern vor dem HBF demonstriert usw.) oder eben einfach gedankenlos alles zu glauben was so in den Medien steht. Ob sich dann aber deshalb etwas an dem eigentlichen Problem ändern wird?

Wird sich deshalb wirklich die Verkehrssituation ändern, nur weil eine wöchentliche Demonstration an die sich jeder normale Mensch nach 4 Jahren gewöhnt hat, nicht mehr dort stattfindet? Wird sich an den Argumenten der bewegten Bürger deshalb etwas ändern weil man sie aus den Augen verbannt? Man kann es auch mit einem anderen Vergleich versuchen -> Hat sich denn an den Inhalten und den Fakten die diese Demonstranten bewegt, die sie konsequent weiter transportiert, etwas geändert seit man in einer Volksabstimmung lediglich festgestellt hat wem die Menschen im Land lieber glauben wollen?

Interessant wird aber meiner Ansicht nach auch die Frage sein – lassen sich die bewegten Bürger in Stuttgart das wirklich gefallen? Bereits im Jahre 2010 versuchte die Politik die Demonstrationen zu verbannen und zu verstecken bis das Verwaltungsgerichtshof in Mannheim dem einen Schlussstrich setzte. Nun versucht man es erneut und es wird sich zeigen, ob die Bewegung in Stuttgart weiterhin sein Anliegen durchsetzt oder klein beigeben wird.

Oben Bleiben – auch am Montag!

 

LoB – 30.11.13

8 Kommentare

  1. Lieber Tom,

    wer z.B. verhindern will, daß wir, nachdem wir nun schon medial
    totgeschwiegen werden, auch selbst nicht mehr sichtbar und notfalls
    eben auch störend in Erscheinung treten, der sollte gut überlegen,
    ob er etablierte Orte in unmittelbarer Nähe zum Korpus Delikti aufgibt
    und abwägen, was er damit verliert.
    Medial sind wir „Anathema“. Tabu. Folglich sind dann eben zuweilen
    auch Bürger sehr überrascht, wenn sie Montag Abend in die City fahren
    und auf uns treffen. Das ist quasi unsere letzte Option, überhaupt noch
    wahrgenommen zu werden. Verlieren wir die auch, weil wir eilfertig
    Argumenten folgen, die auf Stigmatisierung und Lügen beruhen, ist
    uns wirklich nicht mehr zu helfen.

    Abgesehen davon: Warum lassen wir uns schon wieder auf Themen ein,
    die nie die unseren waren? Zu einer Zeit, wo Tunnelbohrmaschinen
    angeliefert werden und Baustellen den Verkehr nachhaltiger behindern,
    als es je eine Demo getan hat? Hat es uns je gestört, am Bahnhof
    gegen dessen Zerstörung und Rückbau zu demonstrieren?

    Es gibt ein Urteil zum Thema und da der Versuch einer Ortsverlegung
    vor Gericht scheitern dürfte, könnten wir uns auch einfach weiter unseren
    Themen widmen: Bürgerbegehren, Planfeststellung, Tunnelbohrmaschinen
    und was sonst gerade ansteht – gern auch im Kontext knapper Kassen,
    die dann – oh Wunder! – andernorts Spardiktate „alternativlos“ erscheinen
    lassen.

    Abschließend möchte ich noch anmerken, daß mir das Rathaus eher
    suspekt ist. Schon der Begriff „Bürgerbeteiligung“ ist mir suspekt. Ich
    hätte gern Demokratie. Ich wünsche mir das, weil man in einer Demokratie
    das entlarvende Hilfskonstrukt einer „Bürgerbeteiligung“ nicht bemühen
    müsste. Wir wären nicht „beteiligt“. Wir hätten tatsächlich auch etwas
    zu sagen und es gäbe da sonst niemanden, der uns gnädig irgend eine
    „Beteilugung“ zugestehen würde. Wir sind weit davon entfernt, aber ich
    habe Zweifel, daß man über eine gnädig zugestandene, klar umrissene
    „Teilhabe“ und das Bemühen darum „gehört“ zu werden irgend etwas
    anderes bewirkt, als kosmetische Korrekturen. Das sollte uns eigentlich
    spätestens seit der Beschlichtigungsschow klar sein, oder etwa nicht?

    Mit solidarischen Grüßen,
    Dirk Ritter

  2. ich habe immer an der MW gesagt: mit jedem Cent den wir von ausserhalb kriegen, tragen wir auch eine Verantwortung anderen gegenüber!
    Jedes Einknicken unsererseits führt schnell auch zur Schwächung von anderern Bewegungen… und umgekehrt
    die Frankfurter haben UNS gestärkt durch ihr Urteil!
    und die Gorleber durch ihren langen Atem!

  3. Mal zum Nachdenken, als die Montagsdemos am Marktplatz waren, wurde nicht nur ich gefragt ob es diese Demos überhaupt noch gibt. Man sieht und hört nichts mehr davon. Mehrfach in der U Bahn solche Dinge zu Ohren bekommen. Da ich immer mit einem ObenBleiben Button unterwegs bin wird man auch in Gespräche verwickelt. Übrigens meistens sehr freundlich und wohlwollend. Zudem bin ich der Meinung das eine Demo sicht, hörbar und auch etwas „weh tun“ im Sinne von störend sein muss. Sonst kann man sich das ganze sparen da sie sonst einen sich zu tode demonstrieren lassen und das bis zum Sankt Nimmerleinstag. Stört ja keinen an einem Ort an dem man nicht mehr von der Masse wahrgenommen wird. Zudem wäre es an der Zeit auch mal wieder einen psychologischen Sieg davon zu tragen und genau dafür könnte der Versammlungsort stehen. Übrigens auch wichtig für die Wahlen 2014 in Stuttgart.

  4. Hallo Alexander,
    Danke für die Arbeit und besonders für die Analyse der Stausituationen in Stuttgart, mit denen die von BM Schairer und Prolern betriebene Stimmungsmache sauber widerlegt ist. Ich bin ebenfalls der Meinung: wir verteidigen das Verssammlungsrecht und lassen uns von solcher Propaganda nicht treiben. Und entscheiden selbst, wo der Ort unseres Protests ist.

    Die Frage des Kundgebungsorts wird ja in unserer Bewegung sehr kontrovers diskutiert. Oft vor dem Hintergrund dieser o.g. Auto- und Busfahrerbehinderungen, die uns – so die einen – Sympathien kostet und Gegner schafft. Oder – so die andern – dass die Schillerstr der einzige Ort ist, wo die ‚Steine des Anstoßes‘ und die Spur der Zerstörung direkt vor der Nase sind. Und weil wir 2010 vorm Verwaltungsgerichtshof das Recht erstritten haben, dort zu demonstrieren.

    Sämtliche pro und contra Schillerstr-Argumente haben einen nachvollziehbaren richtigen Kern. Schon deshalb finde ich die Rigorosität und Absolutheit, mit der die Standort-Diskussion oft geführt wird, unangemessen. Ich selber wäre nie auf die Idee gekommen zu sagen: ich geh nicht mehr zur Montagsdemo, wenn sie vom Bahnhof zum Marktplatz umzieht oder umgekehrt. Die Wirksamkeit oder Nicht-Wirksamkeit unseres Protest entscheidet sich nicht an der Frage Bahnhof oder Marktplatz, sondern ob wir viele bleiben und wieder mehr werden. Welche Aktionsorte und- Formen, wenn wir wieder mehr werden, dann z.B. von einem Kundgebungsort Marktplatz ausgehen, hängt ab von der aktuellen jeweiligen Lage und wie sich die Bewegung entwickelt. Auch das ist keine Frage, die der Kundgebungsort selbst massgeblich beeinflusst.

    Ich selber fand und finde den Marktplatz besser. Aber gar nicht weil man dort den Auto- und Busverkehr nicht stören würde. Den stört man, sag ich als alter Demo-Fan, mit den anschließenden Demos ab Marktplatz schließlich ja auch. (Wer gar niemand mehr stören will, sollte gleich einpacken oder hat das sowieso schon getan.)

    Für den Marktplatz, wenn er denn frei ist, spricht m.E. aber vieles:
    > die Örtlichkeit: er ist ein ansprechender Kundgebungplatz (also auch Startpunkt für Demos), der die Kundgebung für alle Teilnehmer viel besser ins Bild setzt, keine ätzende (Straßen-) Lärmkulisse hat, dem Charakter der Kundgebung auch als Ort des Austauschs und der Kommunikation (ein politischer Marktplatz) entgegenkommt.

    > das Erreichen von Passanten: der Platz ist ebenso frequentiert von Passanten wie das Schillerstraßenumfeld, mit einem Vorteil: der Anteil der genervten und gestressten ist kleiner

    > die Nähe zum Rathausbetrieb: im Unterschied zur Schillerstr nervt die Kundgebung auf dem Marktplatz die Proler und Entscheider im Rathaus. . Das hab ich selber oft genug erlebt in Sitzungen. Dort demonstrieren wir an der richtigen Adresse: Uns werdet ihr nicht los – wir euch schon!
    (Die Proler und Entscheider in Landtag und bei der Bahn nervt die Kundgebung auch am Bahnhof nicht – da muss man hindemonstrieren, egal von wo aus)

    Dass man am Ort der Zerstörung demonstrieren müsse, leuchtet mir nicht ein. Für mich fühlt sich das nicht stärkend an. Am Sitz der Zerstörer Kundgebung zu machen, ergibt m.E. mehr Sinn. Erst recht wenn wir sagen: Es geht um mehr als einen Bahnhof, es geht um das „Prinzip S21“. Das wird nun wirklich eher im Rathaus als vor dem Hauptbahnhof entwickelt und exekutiert.

    Herzlichen Oben-Bleiber-Gruss,
    tom

    • Hallo Tom

      Vielen Dank für deinen Kommentar.

      Ich habe versucht diese aufkommende Demo-Ort Diskussion etwas abzuschwächen indem ich gleich zu Anfang auf so manche Dinge einging die schon immer die Geister gespalten haben. Hauptsächlich und Grundsätzlich geht es aber bei den aktuellen Ereignissen nicht um diese Frage – es geht um das Grundrecht Versammlungen unzensiert und ohne vorgeschobene Gründe zu verhindern oder zu beeinflussen.

      Schön das du das auch erstmal als wichtigen Punkt siehst und auch schön das ich bisher in der Bewegung den eindruck habe das genau das bisher noch nicht in Gegensätzlichen Lagern diskutiert wird. Das Ordnungsamt nimmt sich hier meiner Meinung nach ein Recht heraus das mit seinen Aufgaben nichts mehr zu tun hat. Es missbraucht vorgeschobene Gründe für ein verbiegen des Versammlungsrechts. Und ich zweifle auch nicht daran das hier auch das VGH genau diese Meinung vertreten wird.

      Wenn die Stuttgarter Bewegung die nun mal mittlerweile, ob nun begründet oder nicht, zu einer Bundesweit beachteten Bewegung geworden ist hier einknickt, dann leistet sie damit einer Entwicklung Vorschub die enorme Schäden anrichten kann. Diese Verantwortung ist viel zu groß als das man sie einem internen Streit der Ansichten opfern darf.

      Übrigens sehe ich schon immer diese Diskussion um den Ort ziemlich Emotionslos. Ich habe dazu eine persönliche Meinung die aber nichts zur Sache tut. Was mich aber schon immer enorm stört ist die Art wie Gruppen ihre Ansichten und Meinungen über die der anderen stellen. Ich habe damals diese Probleme versucht zu ergründen und zu erklären als zuerst Abstimmungen durchgeführt wurden die dann einfach ignoriert wurden. Diese Art und Weise ist unabhängig von der eigentlichen Fragestellung zu sehen. Ich kann nicht akzeptieren das Mittel angewandt werden die an anderer Stelle (sei es Politik oder ein Wirtschaftsunternehmen) zurecht massiv kritisiert werden.

      Wenn diese Bewegung sich eine Entscheidung dazu sucht dann sollte sie Demokratische Mittel nutzen und Beispielwirkung haben. Man kann nicht von „denen da oben“ verlangen was man selbst „im kleinen“ nicht umsetzen kann oder will. Das ist meine Meinung dazu.

      PS Sollte die Bewegung diese Frage, die meiner Ansicht nach (siehe oben) zur Zeit eher zurück gestellt werden sollte, wirklich wieder ernsthaft stellen, wäre das ja vielleicht wieder einen Kommentar wert in dem ich gerne auf die einzelnen von dir genannten Punkte auch Rücksicht nehmen würde.

      Gruß und Oben Bleiben
      Alex

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