Schattenseiten der Sonnenküste – Zwangsräumung in Malaga am 06.07.2012

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Costa del Sol Anfang Juli. Zunächst scheint die Welt hier noch in Ordnung zu sein. Doch der Schein trügt. Entlang der ganzen Küste jede Menge neuer, noch nicht bezogener Wohnhäuser, leer stehende Bürokomplexe, Shopping-Zentren ohne Shops. Alles gespenstisch leer und verlassen. Eine 6-spurige Autobahn, die unabhängig vom Wochentag oder der Uhrzeit kaum befahren wird. Angefangene Tunnels, Autobahnen und Brücken, die seit dem letzten Jahr keinen Meter mehr weiter gebaut wurden. Kostendeckel gesprengt? Hat man hier ebenfalls nur in Teilprojekten und offenbar zu kurzsichtig geplant? Oder haben die Verantwortlichen  die öffentlichen Gelder für die „Planungskosten“ einkassiert und die Umsetzung interessiert nun niemanden mehr? 

Erst mal keine Spur von sozialen Unruhen, Demos oder Aktivisten. Gelegentlich fährt man an einschlägigen Graffitis vorbei und denkt sich, es muss doch auch hier Leute geben, die denken und fühlen wie wir; solche, die sich mit Körper und Geist gegen verbrecherische Machenschaften politisch gestützter Investoren wehren. Eben Leute, die sehr unruhig werden, wenn Politik versucht „die Märkte“ zu beruhigen.

Ich wende mich also an @Svenceremos, einen Online-Aktivisten, der einen sehr guten Überblick über solche Geschehnisse in Spanien und in Stuttgart hat. Unermüdlich berichtet er regelmäßig über Twitter und über seinen Blog z. B. darüber was in Spanien jenseits der gleichgeschalteten Presse so alles passiert. Innerhalb kürzester Zeit spielt er mir einige Termine zu, wann wo in meiner Umgebung was los ist. Ohne lange zu überlegen, entscheide ich mich für einen Termin in Malaga, da es um Zwangsräumung einer Familie ging. Immerhin die erste Zwangsräumung in Andalusien. Von einem vor Ort ansässigen Freund, einem Immobilienmakler, erfahre ich zwei Abende zuvor, dass es in ganz Spanien über 1 Mio. (!) leer stehender Wohnimmobilien gibt. Und hier soll also zwangsgeräumt werden?

Stop Desahucios – Stoppt Zwangsräumung

Nach nur zwei Stunden Schlaf, stehe ich am besagten Donnerstag um 6 Uhr auf und mache mich auf den Weg nach Malaga – 60 km. Ich weiß nicht, was auf mich zukommt. Paranoide Aktivisten? Gewaltbereite Polizei? Steigendes Adrenalin hilft, wach zu bleiben. Kurz vor 8 bin ich vor Ort. Die Straße ist bereits durch 7 Polizeibeamte abgesperrt. Trotz meiner Nervosität laufe ich direkt auf die Aktivisten zu, frage nach jemand, der Englisch spricht und stelle mich den ca. 10 Aktivisten vor, wer ich bin, wo ich herkomme, was ich hier mache.

cams21 war drei von ihnen schon ein Begriff, zwei kannten unsere live streams von Blockupy (Frankfurt), der dritte kennt uns wohl schon länger. Das Eis ist schnell gebrochen. Ich bin willkommen und man bedankt sich schon im Vorfeld für die Solidarität. Zwei Fernsehteams und ca. fünf Journalisten sind auch schon vor Ort. Man erklärt mir, warum gerade diese Räumung für sie so interessant ist. In Spanien gilt vor allem der erste eigene Wohnsitz als Grundrecht. Solcher Besitz ist staatlich geschützt, d.h. es gibt z.B. keine Zwangsenteignung der Besitzer weil das Haus einem Investorvorhaben im Weg steht.

In diesem Fall hatte die Familie die Wohnung zwar abbezahlt, musste dazu aber einen Kredit aufnehmen und die Wohnung war als Sicherheit dazu angegeben. Durch plötzliche Arbeitslosigkeit können sie die nächsten Raten gerade nicht bezahlen, die Bank droht direkt mit Pfändung.

8:35 Die Mutter der Familie spricht

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8:40 Ansage, Einstimmung

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Übersetzung Art. 47. Alle Spanier haben das Recht auf eine würdige und angemessene Wohnung. Die öffentliche Gewalt fördert die notwendigen Voraussetzungen und setzt die entsprechenden Vorschriften zur wirksamen Anwendung dieses Rechts fest. Sie regelt die Nutzung des Bodens im Interesse der Allgemeinheit und zur Verhinderung der Spekulation.Die Gemeinschaft ist am Wertzuwachs beteiligt, der durch Städtebaumaßnahmen der öffentlichen Hand entsteht.

Polizei und „Robocops“

Ich warte mit anderen Aktivisten auf den Gerichtsvollzieher und auf die Räumungstruppen. Den Begriff Robocops kannten sie noch nicht, aber schmunzelnd adaptieren sie diesen sehr schnell, so dass wir danach nur noch von Robocops reden. Man sagt mir,  Robocops seien keine gewöhnlichen Polizei. Polizisten kenne man eben als Freunde, Familienangehörige oder als Nachbarn. Sie seien zugänglich, gesprächsbereit, von ihnen gehe keinerlei Provokation aus und über sie rege sich auch niemand auf. Man wisse aber nicht, wer diese Robocops sind. Wer steckt unter diesen schwarzen Helmen und auf wessen Befehle hören sie? Man kennt einander nicht. Nach dieser Aussage muss ich kurz inne halten.

„Bloody Thursday“ war ein Begriff. Sie kannten die Übergriffe der Polizei gegen friedliche Bürger im Stuttgarter Schlossgarten am 30. 09. 2010 von Youtube. Doch keiner von ihnen hat tatsächlich verstanden, worum es da überhaupt ging (schließlich hätten wir ja alle was zu essen und unsere Jobs, und Molotowcocktails werfende Anarcho-Demonstranten waren auch nirgends zu sehen). Ich versuche etwas Zeit für die Erklärung zu gewinnen, indem ich ihnen ganz stolz erkläre, dass wir nach über 2 Jahren immer noch regelmäßig am Montag auf der Strasse sind, was sie auch sehr beeindruckt.

Doch wie erkläre ich denn nun in einer Gegend, in der der nächste Bahnhof hunderte Kilometer weit weg ist, warum wir keinen NEUEN Bahnhof wollen? Wie erkläre ich denn in dieser Betonlandschaft, mitten in der Wüste mit paar Palmen, welche Bedeutung alte Bäume, ein kilometerlanger Park und eine grüne Lunge der Stadt für uns Stuttgarter haben? Ich versuche einen gemeinsamen Nenner. Für mehr Mitspracherechte der Bürger, gegen die von profitgetriebenen Investoren erpresste Politik, gegen die Baumafia und ihre Handlanger in Presse, Politik und Justiz und gegen korrumpiertes und verfilztes Justizwesen. Wie ich das Wort Filz erkläre? Genauso wie mein Gegenüber mir das Wort Gerichtsvollzieher erklärt hat: in halbwegs English, mit Händen und Füßen. Unter Gleichgesinnten ist Kommunikation einfach – man versteht sich eben. 

Freundliche Empörung

Dann erscheint der Gerichtsvollzieher. Einige Aktivisten versammeln sich traubenartig um ihn und fangen an mit ihm zu verhandeln und zu diskutieren. Die betroffene Familie verschanzt sich mit ca. 20 anderen Aktivisten in der Wohnung, etwa 10 weitere belagern das Treppenhaus. Vor der Eingangstür stehen mittlerweile ca. 50 Aktivisten, die sich gegenseitig aufmuntern, eine Sitzblockade vorbereiten und sich einstimmen.

9:10

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Nach kurzer Rücksprache mit der Polizei erklärt der Gerichtsvollzieher, dass er der Familie einen Zahlungsaufschub gewährt, unter der Voraussetzung, dass wir jetzt alle nach Hause gehen. Eine Aktivistin bleibt hartnäckig und verlangt die Zusage in schriftlicher Form. Nun, die hat er jetzt nicht dabei, aber er kommt morgen wieder und schiebt sie unter der Türe durch. Immer mehr Aktivisten kommen dazu und signalisieren friedlich entschlossen, dass hier niemand weg geht, solange der Zahlungsaufschub nicht schriftlich vorliegt. Freundlich empört, aber bestimmt.

9:25

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Der Gerichtsvollzieher geht und das Bangen beginnt von vorn. Entweder kommt er mit der besagten Erklärung zurück oder die Robocops stürmen. Inzwischen wird mir eine Führung durch die Wohnung angeboten. Ich lehne freundlich ab, da ich mir nicht sicher bin, ob eine in Broken-English-Hände-Füße-Kommunikation mit Robocops später nicht doch als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt würde.

Also warten wir und ein Geschichtslehrer erzählt vom Bildungswesen in Spanien und von seinem Alltag an der Schule. Eigentlich ist er Geschichtslehrer, aber zurzeit unterrichtet er beinahe alle Fächer und Klassenstufen.  Er weiß also nicht, ob er am nächsten Tag 3- oder 18-jährige vor sich hat; ob er Sprechen, Lesen, Schreiben oder Kurvendiskussion und lineare Algebra unterrichtet; ob er besonders empfindsame Kinder in der Klasse hat, für die jedes Wort viel Gewicht hat oder ob ihm pubertierende Rebellion entgegen schmettert. Ohne klagenden Unterton, es scheint die Normalität zu sein. Die Uhren ticken hier anders. Keine Versorger, keine Lokomotive, spartanisch gestaltete Flyer und „Stop desahucio“-Aufkleber, die mit großer Sorgfalt verteilt werden. Nur an diejenigen, die tatsächlich Interesse an der Aktion zeigen.  Jedes Mal, wenn ich meine Nervosität mit einer Zigarette zu unterdrücken versuche, schauen mir mind. 6-7 Paar Augen auf die Hände mit der Zigarettenschachtel. Man fragt nicht danach. Mir wird zunehmend schwerer ums Herz, wenn ich mich umsehe oder wenn ich daran denke, dass diese Leute für ihre Ansichten womöglich gleich niedergeknüppelt werden.

Aufschub wird gefeiert

Doch die Situation wendet sich zum Guten. Der Gerichtsvollzieher kommt vorbei und bringt die schriftliche Bestätigung über den Zahlungsaufschub bis zum 24.10. für die Familie. Großer Jubel bricht aus. Mich reißt es auch mit. Eine Aktion, die sofort fruchtet, habe ich so noch erlebt. Der Robocops-Einsatz ist abgesagt, dennoch hat die Polizei eigentlich schon gerne das letzte Wort. Sie gehen, wenn wir weg sind. Nach ca. 10 Minuten beenden sie das Ihr-Geht-Zuerst-Nein-Ihr-Spiel und lassen uns unseren kleinen Teilerfolg in Ruhe feiern.

10:10

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Die Aktivisten rufen zuerst “el pueblo unido jamás será vencido” (das vereinte Volk wird niemals besiegt), dann “esta crisis no la pagamos” (wir bezahlen nicht diese Krise). Beides Klassiker, die man immer wieder auf den Demos hört.

In ausgelassener Atmosphäre bedanken sich einige mehrmals mit Nachdruck für die Solidarität und unserer Bewegung wurde Einigkeit, Entschlossenheit und Ausdauer gewünscht.

Text und livestreams: cadenas