Stuttgart 21: Offener Brief an Ministerpräsident Kretschmann

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 Eisenhart von Loeper

Das in dem Artikel „Stuttgart 21 mache ich nicht mehr zum Wahlkampfthema“ veröffentlichte Interview in der Stuttgarter Zeitung mit Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hat Dr. Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, zum Anlass genommen, einen Offenen Brief zu schreiben:

Sehr geehrter Herr Kretschmann,

die Werte, zu denen Sie sich heute erneut in der Stuttgarter Zeitung bekannt haben, teilt das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 und teilt unsere Bürgerbewegung: „Bei der Infrastruktur auf Nachhaltigkeit“ zu achten, dass es „auf eine kluge Komposition der Verkehrsträger“ ankomme, es darum gehe, „in Alternativen zu denken“, eine „andere Haltung gegenüber den Bürgern“ gebraucht werde und deren „Sacheinwände ernst genommen werden“ müssen. Diese Bekenntnisse zu Transparenz und ernsthafter Bürgerbeteiligung waren es, die Sie mit der Unterstützung vieler Stuttgart 21-kritischer BürgerInnen zum Ministerpräsidenten dieses Landes gemacht haben.

Um so enttäuschter sind wir, dass nun diese Grundsätze ausgerechnet für das Thema, mit dem diese Diskussion in Gang kam, jetzt nicht mehr gelten sollen.

1. Wir halten es für schwer erträglich, ausgerechnet den sog. Filderdialog als „ein – wenn auch spätes – Beispiel dafür, wie man die „Leute beteiligt“, anzuführen. Die Zusagen der Landesregierung, „Mehrheitsergebnisse ernsthaft zu prüfen“ und keine Lösungen zu akzeptieren, die zu Mehrkosten führten, wurden gezielt nicht erfüllt, so Steffen Siegel, Sprecher der Schutzgemeinschaft Filder im Aktionsbündnis, der bis zum Schluss am „Filderdialog“ teilgenommen hatte. Das klare Mehrheitsvotum der Dialogteilnehmer (Erhalt der Gäubahntrasse, kein Mischverkehr durch Leinfelden-Echterdingen), das erzielt wurde, nachdem schon viele S21-KritikerInnen wie Hannes Rockenbauch die Veranstaltung verlassen hatten, wurde ohne Prüfung glatt ignoriert. So wurden selbst die ohnehin fragwürdigen Spielregeln des Beteiligungsverfahrens noch verletzt. Wenn jetzt ein Ergebnis, das die BürgerInnen ausdrücklich nicht wollten, als Ergebnis des Filderdialogs dargestellt wird, stellt das die Dinge auf den Kopf. Dem zarten Pflänzchen Bürgerbeteiligung werde ein nicht zu ermessender Schaden zugefügt, so Siegel.

2. Auch die Zurückhaltung fundamentaler Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 steht in Widerspruch zu Ihren Bekenntnissen zu Offenheit, Transparenz und Bürgerbeteiligung. Seit Monaten liegen Ihnen bzw. Verkehrsminister Hermann belastbare Gutachten und Expertisen vor, die auf verschiedenen methodischen Wegen klar belegen, dass Stuttgart 21 die zugesagten Leistungsversprechen nicht einhalten kann, vielmehr einen Rückbau von Schienenverkehrskapazität im Verkehrsknoten Stuttgart bedeuten würde. Was vielleicht vor der Volksabstimmung als nur „eine Meinung“ charakterisiert werden konnte, kann inzwischen als bewiesen angesehen werden. Auch die Bahn AG ist nicht in der Lage, diese Kritik zu entkräften, sie vermag nur – allerdings mit Ihrer Unterstützung – eine notwendige Diskussion zu verhindern.

Um der von Ihnen proklamierten Grundsätze willen, fordern wir Sie daher auf, die Ihnen bekannten Untersuchungen und Gutachten zu veröffentlichen und zu ihnen Stellung zu nehmen.

Wir können uns nicht vorstellen, dass BürgerInnen bei der Volksabstimmung für Weiterbau votiert hätten, wenn bekannt und erwiesen gewesen wäre, dass eine Kapazitätseinschränkung die Folge des Projekts wäre. Wir können uns auch nicht vorstellen, dass Sie als der Ministerpräsident in die Landesgeschichte eingehen wollen, der die politische Verantwortung für eine für viele Generationen nicht revidierbare Verschlechterung des Schienenverkehrsangebots im Großraum und am Wirtschaftsstandort Stuttgart trägt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Eisenhart von Loeper

Rückfragen an: Eisenhart von Loeper oder Werner Sauerborn