Der Fuß- und Radweg entlang der Hofener Straße am Neckarufer zählt zu den beliebtesten und schönsten Laufstrecken, die Stuttgart zu bieten hat. Nicht umsonst verläuft ein Teilabschnitt des jährlich stattfindenden Stuttgart-Laufs immer wieder vor dieser malerischen Kulisse. Hier zwischen Neckar und Weinbergen können geplagte Stadtmenschen den Büroalltag in Laufschuhen, Inlinern oder mit dem Fahrrad ausklingen lassen oder einfach nur bei einem Spaziergang gemütlich die Natur genießen.
Eine meiner Lieblingslaufstrecken
Diese Laufstrecke ist seit Jahren auch eine meiner Lieblingsstrecken, auf der ich wöchentlich meine Runde drehe. Und exakt auf dieser Runde wurde ich an einem Tag mitten im August 2012 rüde aus dem Laufrhythmus gerissen. Auf Höhe des Stuttgart-Cannstatter Ruderclubs bot sich mir, als einen durch die Parkrodung im mittleren Schlossgarten traumatisierten Stuttgarter, ein Bild des Grauens in mitten meiner schönen Lauf-Idylle: Ein nicht gerade kleines Areal, welches ich bisher als Renaturierungsgebiet der Neckarauen wahrgenommen hatte – vor etwa 10 Jahren gab es hier noch ein paar Tennisplätze – wurde während der Vegetationsperiode mit Rodungs- und Gehlölzarbeiten überzogen.
Rodungsarbeiten im August 2012 (Quelle: Wolfgang Rüter)
(mehr Bilder zum Thema: https://picasaweb.google.com/112478480755709713158/BaumeGefalltFurGolfplatz16082012)
Als gebranntes Kind bzgl. Parkrodungen musste ich dieser Sache natürlich auf den Grund gehen. Schnell fand ich heraus, dass hier eine Golfübungsanlage entstehen soll, typischerweisse inmitten eines Landschaftsschutzgebiet. Eine kurze Recherche ergab, dass die Stuttgarter Lokalpresse über dieses Vorhaben schon mehrfach berichtet hatte. Offenbar wird über diese Anlage noch immer heftig gestritten, und zwar quer durch die Fraktionen der Lokalpolitik und auch zwischen Investor, Baufirma und Architekt.
Im April 2012 berichtet die StN über den Stuttgarter Sportamtsleiter Günther Kuhnigk, der euphorisch von einem neuen Investor schwärmt, die Eröffnung noch im selben Jahr herbeibeschwört, und die „Hängepartie“ um die seit Jahren geplante Driving-Range für beendet erklärt. Die Beendigung der Hängepartie war allerdings nur von kurzer Dauer, denn im Aprill 2013 berichtet diesmal die StZ über einen neuen-alten Streit im Stuttgarter Rathaus. Stein des Anstoßes wiederum die Golfübungsanlage. Diesmal geht es sowohl um das Erscheinungsbild der geplanten Anlage und kurioserweise auch um die grundsätzliche Nutzung des Geländes. Gegner der sogenannten Driving-Range – zu denen auch Baubürgermeister Matthias Hahn gehört – wollen das Gebiet lieber für Renaturierungsmaßnahmen nutzen, während die Befürworter am liebsten schon heute die Bälle fliegen sehen wollen. Kurzum, statt einer Golfpartie ist die alte Hängepartie offenbar wieder für eröffnet erklärt.
Bauzäune und Erdhäufchen
Zurück zum Ort des Geschehens. Mit den vorschnellen Rodungsarbeiten, gefolgt vom Aufstellen des Bauzaunes, wollten offenbar die Driving-Range Befürworter Symbole schaffen um zu signaliseren, dass es ab jetzt kein Zurück mehr gibt. In Stuttgart kennen wir dieses Vorgehen (Tatmuster) bereits unter dem Begriff Stuttgart 21. Dieses Prinzip ist denkbar einfach: Man stellt einen Bauzaun auf, schafft dahinter erste Fakten und hinterlässt im Anschluss eine Baubrache, auf der sich monatelang überhaupt nichts tut. Kritker dieses Vorgehens werden danach meist mit einem Verweis auf das wackelige Baurecht und die gleichermaßen wackelige Finanzierung in die Schranken verwiesen.
Blick auf die Baubrache – Stand: August 2013
Exakt diesem Bild entspricht der aktuelle Zustand des Geländes. Ziemlich genau 1 Jahr nach den Rodungsarbeiten steht dort ein Bauzaun um eine Baubrache, verziert mit ein paar Erdhäufchen. In ein Rückzugsgebiet für Vögel und andere Tiere wurde hier nachhaltig eingegriffen obwohl es sich hier zudem um Landschaftsschutzgebiet handelt. Baufreudige Investoren haben, wie so oft in Stuttgart, Vorfahrt vor der Natur.
Parkplatznot im Landschaftsschutzgebiet
Womit wir bei einem Thema angelangt sind, über welches in diesem Kontext noch wenig geschrieben wurde: Wie sollen die Golf-Fans künftig zu ihrer Driving-Range gelangen?
Wer sich in dieser Gegend auskennt, der weiss, dass gerade in den warmen Sommermonaten die Parkplatz-Situation, trotz guter Stadtbahnanbindung, chaotisch ist. Grund: die unmittelbare Nähe des Max-Eyth-Sees. Der mögliche Zugang über die Hofenerstrasse ist seit einem halbem Jahr an Wochendenden durch die Komplettsperrung (notwendige Verkehrsberuhigung) für Autos erschwert, zumal es ohnehin dort so gut wie keine Parkmöglichkeiten gibt. Irgendwie ist es auch schwer vorstellbar, dass der ÖPNV für die Golf spielende Kundschaft das Verkehrsmittel der Wahl darstellt. Zusammengefasst kann man also feststellen, dass neben der ungeklärten Finanzierungsfrage und dem Grundsatzstreit auch noch ein Platz- bzw. Parkplatzproblem existiert, welches sich nicht so einfach lösen lassen dürfte. Wer sich mit der Stuttgarter Stadtplanung etwas intensiver auseinandersetzt, den dürften solche Absurditäten nicht verwunden.
Landschaftsschutzgebiet – SSB Haltestelle Wagrainäcker in der Nähe
Zurück zu meiner Laufrunde. Wer während der körperlichen Ertüchtigung genug Luft und Zeit hat, sollte sich den Bauzaun beim Stuttgart-Cannstatter Ruderclub etwas genauer ansehen. Dort hängt seit einiger Zeit ein Werbebanner der Baufirma, welche hier wohl tätig oder je nach Sichtweise untätig ist.
Strabag, ein alter Bekannter
Das Firmenbanner und der einsame Baucontianer stammen von dem in Stuttgart wohlbekannten Bauriesen „Strabag“, zu dem auch die Firma Züblin gehört. Stuttgart 21 ist demnach nicht die einzige höchst umstrittene Baustelle in Stuttgart, welche den Status „Hängepartie“ gepachtet hat und bei der dieser Bauriese seine Finger im Spiel hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ein Bagger sucht man dort diese Tage übrigens vergeblich, aber vielleicht liegt das auch einfach daran, dass hier keine Tunnel gegraben werden sollen.
Strabag – der Bauunternehmer gibt sich zu erkennen
Und so steht neben der Finanzierung auch ein möglicher Eröffnungstermin in den Sternen. Vielleicht sollte man den Golfübungsplatz später mal – vorausgesetzt, dass er wird jemals gebaut wird – „Dietrich’s Driving-Range“ nennen. Die Parallelen zum Chaosprojekt der Bahn sind eigentlich unübersehbar. Von „Driving-Range 21“ zu sprechen wäre vielleicht etwas übertrieben aber der Projektsprecher und Golfpartner von Bahnchef Rüdiger Grube kennt sich ja mit Golfpartien und Hängepartien gleichermaßen gut aus.
Mittlerweile bin ich mit meiner Runde am Ziel angekommen. Hier am beliebten Trinkbrunnen (Auquellbrunnen), unmittelbar neben dem Mühlsteg, gibt es bestes Cannstatter Mineralwasser zum Nulltarif. Schwer vorstellbar, dass so etwas in einem Golf-Club-Haus möglich wäre. Dieses Problem sowie „Driving Range 21“ kann ich leider nicht übernehmen und überlasse beides gerne den Stuttgarter Anhängern des Golfsports.
air/aug 2013