S21-Finanzierung unter der Lupe

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Unterzeichnung des Finanzierungsvertrages
Unterzeichnung Finanzierung 2009

Was wirklich drinsteht

Die Finanzierungsverträge zum Bahnprojekt Stuttgart–Ulm entpuppen sich als Zwickmühle: Im Falle der Nichtfinanzierbarkeit müssen Land und Bahn Gespräche aufnehmen, aber die Übernahme von Mehrkosten durch das Land ist ausgeschlossen. Ganz nebenbei manifestieren diese Verträge auch die Kannibalisierung anderer Schienenprojekte im Land.

„Pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) lautet ein Rechtsgrundsatz, auf den zum Thema Projektausstieg immer wieder verwiesen wird, und womit jeder Denkansatz über einen Ausstieg abgewehrt wird. So weit so gut. Aber was steht denn wirklich drin, in diesen ominösen Verträgen? Steht da wirklich, dass alle Projektpartner bis zum bitteren Ende zum Bau des Tunnelbahnhofs verpflichtet sind? Auch wenn das Ganze unbezahlbar wird? Lesen wir doch selbst.

Wer hat diese Verträge geschlossen?

Unterzeichnung der Finanzierungsverträge 2009

Die Verwirrung beginnt damit, dass die Finanzierung durch drei Verträge geregelt ist. Der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21, die Gemeinsame  Erklärung zur Realisierung der Projekte „Stuttgart 21“ und „Neubaustrecke Wendlingen–Ulm“ sowie die Vereinbarung über die Abwicklung des Zuschusses des Landes an die Bundesrepublik Deutschland zur Finanzierung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.

Den Finanzierungsvertrag geschlossen haben das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart (im Vertrag heißen diese drei Land und Partner), sowie die Flughafen Stuttgart GmbH. Dann folgen die Eisenbahnstrukturunternehmen (EIU), als da wären die DB Netz AG, die DB Station&Service AG und die DB Energie GmbH. Schließlich noch die Deutsche Bahn AG selbst. Unterschrieben haben der damalige Ministerpräsident Öttinger, die Geschäftsführer der Flughafen GmbH und der Infrastrukturvorstand der Bahn Stefan Garber.
Die Gemeinsame Erklärung wurde zusätzlich noch von Verkehrsminister Tiefensee unterschrieben, die Vereinbarung für die Abwicklung nur von Oettinger und Garber.

Übernahme von Mehrkosten durch das Land

Ministerpräsident Kretschmann hat in letzter Zeit jegliche  Mehrkostenübernahme durch das Land strikt abgelehnt und dadurch Bewunderung sowie Kritik geerntet. Zurecht? In Wirklichkeit beruft er sich mit dieser Aussage auf die Vereinbarung über die Abwicklung Paragraf 5 Absatz 2. Dort steht nur der eine Satz:

Kostenänderungen und Planungsänderungen erhöhen den Zuschuss des Landes nicht.

Dieser Satz ist der erste Stein der Zwickmühle. Vertragstreue durch das Land verbietet die Übernahme weiterer Kosten. Punkt.

Nach dem sogenannten Filderdialog wurden Stimmen laut, die meinten, dass derjenige, der eine Änderung wünsche, diese auch zu bezahlen hätte. Klingt logisch, aber im Vertrag steht hierzu in Paragraf 3, Absatz 5 der Finanzierungsvereinbarung:
Änderungen, die durch das Land und seine Partner oder den Flughafen gewünscht werden unterliegen nachfolgendem § 13 Abs. 2 lit b.
(Der Lenkungskreis entscheidet – nach Maßgabe der Geschäftsordnung einvernehmlich – [im Falle] aller Änderungen, die von Bund, Land, Stadt, Region oder Flughafen gewünscht werden.) Wie mit solchen und anderen Mehrkosten umgegangen wird, entscheidet also der Lenkungskreis, welcher selbst an den Vertragstext gebunden ist und folglich den Landeszuschuss nicht anheben darf.

Der Lenkungskreis

Ausführlich beschrieben in Paragraf 13 des Finanzierungsvertrags. Dazu Absatz (1):
Die EIU, die DB AG sowie das Land und seine Partner richten einen gemeinsamen Lenkungskreis ein. Der Flughafen wird im Lenkungskreis durch das Land und die Stadt vertreten.
Absatz 3: Die Sitzungen des Lenkungskreises werden in einem Arbeitskreis Baden-Württemberg 21 vorbereitet, der mit Vertretern des Landes, der Stadt, der Region und  der EIU sowie der ihnen verbundenen Unternehmen besetzt ist.

Zusammengefasst: Der Lenkungskreis wird immer dann bemüht, wenn Mehrkosten nicht durch Einsparungen an anderer Stelle ausgeglichen werden können, wenn Bauwerke verändert werden, wenn es Änderungen im verkehrlichen Gebrauch gibt, und schließlich, wenn der Inbetriebnahmetermin verschoben werden muss. Die Eisenbahnunternehmen müssen den Mitgliedern des Lenkungskreises und deren Sachverständigen übrigens Einsicht in ihre Unterlagen gewähren. Schon peinlich, dass der Verkehrsminister diese vertragliche Pflicht in aller Öffentlichkeit einfordern muss.
§13 (6): Die EIU haben den Mitgliedern des Lenkungskreises und des Arbeitskreises Baden-Württemberg auf Anforderung jene Auskünfte zu erteilen und Unterlagen in den  Räumen der DB ProjektBau GmbH in Stuttgart vorzulegen, die zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Vertrag erforderlich sind, […]

Nichtfinanzierbarkeit

Die Möglichkeit der Nichtfinanzierbarkeit des Projekts Stuttgart 21 endete laut Vertrag am 31. Dezember 2009.
In Paragraf 2, Absatz 2 steht: Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009, eine Erhöhung der für das Projekt aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten ist, welche zusätzlich die unter nachfolgendem § 8 Abs. 3 vereinbarten Beiträge übersteigt, werden die Vertragsparteien Verhandlungen aufnehmen. Kann danach die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen.

„Kann danach die Finanzierung nicht …“
Hier ist der Vertrag nicht eindeutig. Bezieht sich das danach auf das Datum oder auf die Verhandlungen? Bezöge sich das danach auf das Datum 31. Dezember 2009, wäre alles ganz einfach. Dann wäre jetzt Projektaus. Doch so einfach ist es nicht. Eine mögliche Klärung liefert die sogenannte

Sprechklausel

Paragraf 8, Absatz 4 der Finanzierungsvereinbarung wird gemeinhin Sprechklausel genannt. Er lautet:
Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU und das Land Gespräche auf. § 2 Abs. 2 findet insoweit keine Beachtung.

Auch in Paragraf 5, Absatz 10 der Gemeinsamen Erklärung findet man einen entsprechenden Hinweis. Wörtlich steht dort:
Für eventuelle Kostensteigerungen, die durch die o.g. Finanzierungsbeiträge nicht  abgedeckt sind, haben die EIU, das Land, die Stadt und der Flughafen eine Risikovorsorge getroffen. Danach werden Kostensteigerungen wie folgt übernommen: zunächst 220 Mio.€ von den EIU, danach 780 Mio.€ von Land, Stadt und Flughafen. Bei  einer unwahrscheinlichen Kostensteigerung über 1.000 Mio.€ übernehmen die EIU einen weiteren Finanzierungsbeitrag in Höhe von 160 Mio.€. Danach schließt sich ein weiterer Finanzierungsbeitrag der EIU in Höhe von 130 Mio.€ an. […] Einen weiteren Finanzierungsbeitrag in Höhe von 160 Mio.€ leisten anschließend das Land und die Stadt. Bei einer darüber hinaus gehenden Kostensteigerung nehmen EIU und Land Gespräche auf.

Diese Sprechklausel erwähnt den Ausstieg mit keinem Wort. Sie verbietet den Ausstieg explizit mit dem Satz
§ 2 Abs. 2 findet insoweit keine Beachtung.

Der Ausstieg ist also laut Vertragstext tatsächlich ausgeschlossen. Was sieht der Vertrag denn nun vor, wenn sich Mehrkosten einfach nicht vermeiden lassen? Lesen wir weiter:

Paragraf 3, Absatz 3 der Finanzierungsvereinbarung:
Werden dabei Kostensteigerungen […] nicht durch Einsparungen oder Chancen ausgeglichen, so bedarf es nach Maßgabe des nachfolgenden § 13 einer Entscheidung des Lenkungskreises. Die EIU werden im Arbeitskreis Baden-Württemberg die entsprechenden Chancen und Einsparungen darstellen. Ist das Land der Auffassung, dass angezeigte Erhöhungen nicht durch die aufgezeigten Chancen oder Einsparungen ausgeglichen werden können, kann es den Lenkungskreis zur Entscheidung anrufen.

Es folgen weitere Kostenszenarien, die allesamt den Anruf des Lenkungskreises zur Folge haben.

Wer bezahlt das  jetzt?

Zusatzvereinbarung Paragraf 4 (Neubaustrecke Wendlingen-Ulm), Absatz 3: Der Bund wird die Gesamtfinanzierung in Form von nicht rückzahlbaren BKZ, die im Anschluss an den vom Land Baden-Württemberg bereitgestellten festen Zuschuss in Höhe von 950 Mio.€ gewährt wird, sicherstellen sowie das Risiko einer Kostensteigerung der zuwendungsfähigen Kosten tragen.

Aber das gilt nur für die Neubaustrecke, die der Bund nach Ansicht wichtiger Verfassungsexperten sowieso ganz alleine zu bezahlen hätte.

Zusatzvereinbarung Paragraf 5 (Projekt „Stuttgart 21“) lautet:
(1) Die EIU sind Vorhabenträger und Bauherr des Projektes „Stuttgart 21“. Das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und die Flughafen Stuttgart GmbH beteiligen sich an der Finanzierung.
(2) Der Bund erklärt sich bereit, das Projekt „Stuttgart 21“ mit einem Festbetrag aus Mitteln nach § 8 Abs. 1 BSchwAG in Höhe von 500 Mio. € (Preis- und Planungsstand  2004) mitzufinanzieren. […]

Diese 500 Millionen sind der Betrag, der für die Renovierung und Ertüchtigung des Kopfbahnhofs vorgesehen war, und den die Bahn jetzt für S21 verwenden darf.

In Absatz 5 zeigt sich der Bund spendabel:
(5) Der Bund erklärt sich aufgrund der Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg zum volkswirtschaftlichen Nutzen bereit, im Rahmen der auf das Land Baden-Württemberg entfallenden Quote gemäß § 8.7 der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) i.V.m. Anlage 8.7 weitere Bundesmittel nach § 8 Abs. 2 BSchwAG in Höhe von 197 Mio. € in Form von BKZ zur Verfügung zu stellen. Das Land stimmt hiermit zu, dass die EIU  diese Mittel für das Projekt „Stuttgart 21“ verwenden. […]

Am Ende sitzt die Bahn in der Zwickmühle

Mehr gibt es vom Bund also nicht. Und es steht wirklich nirgends, wo das Geld für weitere Kostensteigerungen herkommen soll. Damit bleibt wohl alles an den Ausführenden hängen. Den Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Herr Kefer braucht da gar nicht so großzügig zu tun. Laut Vertrag zahlt am Ende die Bahn die Zeche.

S- Gäu- und Südbahn lassen grüßen

Nochmal zurück: Weitere 197 Millionen vom Bund. Wie das? Und warum muss das Land zustimmen?
Ganz einfach: Es geht um Investitionen in die Schienenwege. § 8 Abs. 2 BSchwAG (Bundesschienenwegeausbaugesetz) lautet:
Von den Mitteln sind zwanzig vom Hundert für Investitionen in Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes, die dem Schienenpersonennahverkehr dienen, zu verwenden.

Das sind Mittel aus dem Länderfinanzausgleich. Mittel, die der Bund den Ländern zum Ausbau ihres Schienennetzes zur Verfügung stellt. Diese müssen laut Vertrag mitten in Stuttgart für einen dem Nahverkehr schädlichen Fernverkehrsbahnhof vergraben werden, sind aber laut Gesetz zweckgebunden für den Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs.
Nochmal in einfachen Worten:
Das Land Baden-Württemberg verzichtet zugunsten des Bahnhofs „Stuttgart 21“ auf Mittel aus dem Länderfinanzausgleich, die für den Ausbau des Regionalverkehrs zweckgebunden sind.

Ist das denn legal?

Der Autor dieses Artikels ist kein Anwalt, kein Bahn- und auch kein Verwaltungsexperte, kann jedoch aufmerksam lesen. Diese Umlenkung der Bundesmittel hat für ihn zumindest ein „G’schmäckle“. Wenn es also eine kleine Chance gibt, aus dem leidigen und unterfinanzierten Projekt auszusteigen, dann liegt sie in der Anfechtung der Finanzierungsvereinbarung, weil sie vertraglich die Zweckentfremdung zweckgebundener Bundesmittel festschreibt. Welche Chancen so eine Anfechtung hat, müssen ausgebildete Juristen, letztendlich Gerichte entscheiden.

Die Landesregierung als Vertragspartner ist jetzt gefragt. Sie ist – nicht nur per Amtseid – verpflichtet, Schaden vom Land und vom Volk abzuwenden. Sie muss, will sie sich nicht dem Vorwurf der Untreue aussetzen, alle Möglichkeiten ausschöpfen, dieses Vertragswerk zu Fall zu bringen. Die Argumentation in diesem Artikel ist nur ein Ansatz dazu. Viel einfacher und geradliniger wäre es jedoch, Ministerpräsident Kretschmann würde zu seiner Aussage von vor der Wahl stehen Zitat:

„Die Zahlungen des Landes sind verfassungswidrig, der Finanzierungsvertrag nichtig. Falls die Grünen nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg Regierungsverantwortung tragen, werden wir die Zahlungen sofort einstellen und bereits gezahlte Beträge zurückverlangen. Mit uns wird es keine Fortsetzung des Verfassungsbruchs geben.“

30. Dezember 2012 (ern)

 

 

Download der Finanzierungsverträge als PDF

Rechtsgutachten Finanzverfassungsrechtliche Fragen des Stuttgarter Bahnkonflikts

 

 

7 Kommentare

  1. […] Vertragswerk macht einen Ausstieg so gut wie unmöglich (Artikel). Die Vertragsparteien sind vertraglich gebunden, die Projekte Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und […]

  2. nette Formulierungen…
    Vielleicht so gewollt?
    Dass es am Ende immer nur ein Ziel zum verfolgen gilt…?
    Zahlen tut auf jeden fall der Bürger und wenn es nur durch Steuern und höhgere Fahrpreise und an anderen Stellen durch schlechtere Bahnverbindungen ist…

  3. Ich denke, dass sich da schon einige Juristen den Kopf darüber zerbrochen haben, mit dem üblichen Ergebnis: zwei Juristen – drei Meinungen.

    Widersprüchliche Passagen könnten durchaus der Knackpunkt werden.

    Ich sehe die Problematik darin, dass es um Schadensbegrenzung geht beim Ausstieg. Und hier wird Mikado gespielt: wer sich zuerst bewegt.
    Der Ball wurde ja schon ins Feld geworfen von Kefer – aber im anderen Spiel ist leider noch die SPD mit Schmid, Schmiedel und Gönner.

    Das Zerstören sollte wohl tatsächlich dazu dienen, das weiter gebaut werden MUSS.
    Die jetzt eingestandenen Probleme von Seiten der Bahn offenbaren, es KANN gar nicht gebaut werden. Nur können sie das nicht zugegen, sonst müssten sie für den entstandenen Schaden aufkommen.

    Und so verknotet sich das Problem – eine Lösung ist wahrlich eine Herkulesaufgabe.

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