Keine Alternative!

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afd-logoDer Islam und Demokratie passten nicht zusammen. Diese Äußerung der AfD-Führung hat große Empörung in den Medien ausgelöst. Dass das Parteiprogramm, das an diesem Wochenende in Stuttgart verabschiedet werden soll, insgesamt durchwoben ist von rassistischen und faschistoiden Ideen, scheint hingegen bisher kaum zu stören. Es sind nicht nur Menschen mit muslimischem Glauben, es sind sämtliche Menschen, die in irgendeiner Weise von den „Idealvorstellungen“ einer „deutschen“ Gesellschaft abweichen, die ausgegrenzt werden. Insofern kann auch bei der AfD nur gelten: wehret den Anfängen!

Vom 30. April bis zum 1. Mai findet in Stuttgart in den Messehallen der Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) statt. Auf diesem Parteitag soll das Grundsatzprogramm der Partei beschlossen werden, die bei den vergangenen drei Landtagswahlen im März dieses Jahres selbst in den westlichen Bundesländern deutlich zweistellige Ergebnisse einfuhr und damit in Fraktionsstärke in den Landtagen von Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz sitzt. Cams21 ist vor Ort und wird sowohl aus als auch von rund um den Messehallen berichten.

Die Polizei rechnet mit massivem Protest gegen diesen Parteitag und wird die Messehallen und den Parteitag in besonderem Maße zu schützen versuchen. In den vergangenen Monaten gab es in Stuttgart immer wieder Demonstrationen gegen die Leitlinien des neuen Bildungsplans der bisherigen Landesregierung, die personell und auch ideell stark von der AfD unterstützt wurden. Bereits hier gab es immer wieder teilweise massive Auseinandersetzungen zwischen den reaktionären Demonstranten und den Gegendemonstranten. Aber auch die internen Sicherheitsvorkehrungen für den Parteitag sind enorm. So muss sich jeder Delegierte nochmals persönlich anmelden, dass er auch tatsächlich kommt. Delegierte, die ihr Kommen nicht bestätigt haben, werden keinen Zutritt zu dem Parteitag erhalten. Außerdem wird es Taschenkontrollen geben, so dass der Einlass allein bereits relativ viel Zeit in Anspruch nehmen wird.

Die Analysen, wie es zu einem Wiedererstarken eines derartigen Gedankenguts, wie es die AfD offenkundig vertritt, kommen konnte, sind sehr vielfältig. So hat die AfD in Baden-Württemberg ein Viertel ihrer Stimmen von bisherigen Nichtwählern erhalten, ein weiteres Viertel von der CDU. Aber auch von den Grünen und von der SPD rekrutierte die AfD immerhin rund 20 Prozent ihrer Wähler. Die AfD hat also in allen politischen Spektren gewildert und scheint für viele Bürger in irgendeiner Art und Weise attraktiv zu sein – und wenn es nur das Wort „Alternative“ ist, das diffuse Erwartungen weckt.

Die unterschiedlichen politischen Herkünfte der AfD-Wähler sprechen dafür, dass die Partei es geschafft hat, unterschiedliche, sogar widersprüchliche Erwartungen anzusprechen und ebensolche Hoffnungen zu wecken. Es scheint jedoch geboten, den Erfolg der AfD nicht nur durch eine reine Protesthaltung der Wähler zu begründen. Es scheint vielmehr sich ein lange für überwunden geglaubtes Gedankengut in dieser Partei zu sammeln und salonfähig zu werden. „Die bittere Wahrheit, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, lautet: Unter einem dünnen Firnis angepassten Verhaltens existiert ein bedrohliches faschistoides, antidemokratisches Potenzial, das den Wandel der politischen Systeme überdauert hat.“ so Götz Eisenberg zu den Erfolgen der AfD.

Gewiss, nicht alle AfD-Wähler unterstützen bewusst derartiges Gedankengut – wobei sich hier sofort die Frage stellt, wo faschistoides Gedankengut anfängt. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die AfD zweifellos ein Sammelbecken auch eindeutig braunen, faschistoiden und antidemokratischen Gedankenguts ist. Die Bereitschaft vieler Wähler, dieses Faktum – wenngleich auch stillschweigend – zu akzeptieren und sich mit dieser Partei und damit auch mit diesem Gedankengut gemein zu machen, muss zu denken geben.

Paul Simon beschreibt dieses Phänomen als Attraktivität der „apokalyptischen Stimmung der Rechten“ sehr passend und gibt einen Erklärungsversuch, wie die AfD es schafft, ganz unterschiedliche Gruppierungen anzusprechen: „Viele der Themen, die traditionell ‚links‘ gewesen sind, werden heute von ‚rechts‘ aufgegriffen – und das oft auf eine viel populärere (oder populistischere) Weise, als es die Linke noch könnte. Das offensichtlichste Beispiel ist die soziale Frage, die seit der Kapitulation der Sozialdemokratie zur Beute der Rechtspopulisten geworden ist. Aber auch Anti-Imperialismus, Medienkritik, Kritik an der Starrheit traditioneller Politik, an der EU, an der Herrschaft der Finanzmärkte, an der Globalisierung, an der industriellen Landwirtschaft, überhaupt die Wut gegen die da oben und das ganze System, formuliert sich immer öfter in ‚rechts‘. Sogar die Friedensbewegung ist rechts unterwandert!“

Lässt sich diese Argumentation in dem „Leitantrag der Bundesprogrammkommission des Bundesvorstands“ der AfD, also im Grundsatzprogramm, das auf dem Parteitag abgesegnet werden soll, wiederfinden?

Bereits in der Präambel wird deutlich, dass es genau diese Vereinnahmung von vielfältigen Themen ist, durch die die AfD es schafft, vollkommen unterschiedliche politische Wähler anzusprechen. Je nach Thema und Zielgruppe wird einmal, quasi im weißen Schafspelz, vom „freien Bürger“, einem „liberalen“ Weltbild und einem „klaren Bekenntnis zur Demokratie“ gesprochen, dann aber auch, ganz im braunen Pelz, vom „Volk“, vom „Nationalstaat des deutschen Volkes“, von „gelebter Tradition der deutschen Kultur“ und von einer „historisch-kulturellen Identität unserer Nation“. Geschickt werden sogar innerhalb einzelner Sätze Aspekte freiheitlicher, demokratischer Bürgerrechte mit Aspekten nationalistisch-völkischer Ab- und Ausgrenzung vermischt und in einen gedanklichen Zusammenhang gestellt, wo es keinen Zusammenhang gibt.

Ein anderer Effekt, mit dem das gesamte Programm durchzogen ist, sind unbelegte populistische Behauptungen, die auf das Empörungspotenzial vieler Wähler zielen. Es ist eben jene „apokalyptische Stimmung“, die sich bereits in der Präambel durch Begriffe wie „Bruch von Recht und Gesetz“ und „Zerstörung des Rechtsstaats“ manifestiert, so als würden wir bereits in keinem Rechtsstaat mehr leben. Auch von „politischem Handeln gegen die Prinzipien wirtschaftlicher Vernunft“ wird gesprochen – als gäbe es die eine Wahrheit, die eine vernünftige wirtschaftspolitische Entscheidung. Für all dies und in Zeiten der angeblichen Zerstörung des Rechtsstaats meint die AfD eine Alternative zu sein, weil „die Bürger ein Recht auf eine echte politische Alternative“ hätten.

Doch wenn man das vorgeschlagene Parteiprogramm liest, zeigt sich schnell, dass die AfD keine politische Alternative ist. „Eine der beliebtesten PR-Lügen unter Konservativen“ — und auch Basis des AfD-Parteiprogramms — „ist es (zu behaupten), man stehe nur für eine anti-ideologische, anti-utopische Politik des ‚gesunden Menschenverstandes‘, der entgegen der ‚linken Gesellschaftsexperimente‘ einfach auf der nüchternen Wirklichkeit besteht.“ Genau dieser Eindruck wird immer und immer wieder erweckt und teilweise auch wortwörtlich so geschrieben. Tatsächlich »ist es ein Griff nach der politischen Macht seitens einer autoritär denkenden Minderheit und eine Bedrohung der Freiheit der großen Mehrheit der Deutschen, auch wenn sie blonde Haare haben.« (Paul Simon)

 

Der Leitantrag behandelt in 14 Kapiteln Themen wie „Demokratie und Grundwerte“, natürlich „Europa und Euro“ und „Finanzen und Steuern“. Den Themen „Familie und Kinder“, „Kultur, Sprache und Identität“ und „Einwanderung, Integration und Asyl“ werden jeweils eigene ausführliche Kapitel gewidmet.

1. Demokratie und Grundwerte:
»Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe«. Ausgehend von dieser populistischen und fast schon verschwörungstheoretischen Gesellschaftsdiagnose werden Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild gefordert, aber auch ein »schlanker Staat für freie Bürger«. Nur ein »schlanker Staat (könne) ein guter Staat sein«. Dementsprechend wird eine umfassende Privatisierung möglichst sämtlicher staatlicher Aufgaben gefordert. Der Staat soll auf ein Minimum zurecht gestutzt werden. Dass Privatisierung immer unanständig hohe Profite für einige wenige und unangemessen hohe Kosten für die vielen anderen bedeutet, wird hier selbstverständlich verschwiegen und hinter schönen Formulierungen wie „Partei des gesunden Menschenverstands“ versteckt. Es folgen Forderungen wie die stringente Umsetzung der Gewaltenteilung, Trennung von Amt und Mandat, Beschränkung der Macht der Parteien inklusive Anpassung der Parteienfinanzierung, freies Mandat, Verkleinerung des Bundestags, Begrenzung der Amtszeiten von Politikern, Eindämmung des Lobbyismus und schließlich die private Rentenvorsorge der Parlamentarier. Dies alles sind wohlfeile Forderungen einer Partei, die unbedingt an die Macht will. Ist sie erst an der Macht, werden diese Forderungen schnell aufgegeben, denn dann ist die Partei selbst Establishment und profitiert von diesen Regelungen. Warum sollte ausgerechnet die AfD an dem Ast sägen, auf dem sie sitzt?

2. Euro und Europa
Die massive Kritik am Euro und an Europa ist quasi der Markenkern der Partei. Diese Kritik hat sie bekannt gemacht und stand im Fokus der Parteigründer. Die AfD möchte die Uhr zurückdrehen und zu einer reinen Wirtschaftsunion zurück. Dann wird es pathetisch: vom „Europa der Vaterländer“ ist die Rede und von der Notwendigkeit von „nationalen Demokratien, geschaffen durch ihre Nationen in schmerzlicher Geschichte“. Die Kritik an der demokratischen Legitimität zahlreicher zentraler europäischer Institutionen ist durchaus berechtigt — diese Kritik teilt die AfD mit nahezu allen anderen Parteien. Gleichwohl wird behauptet, dass eine stabile Demokratie und größtmöglicher Schutz der Bürger nur in Form eines Nationalstaats möglich sei. Diese Behauptung bleibt unbelegt im Raum. Der gesamte Abschnitt ist geprägt vom Hin und Her und vom sich Winden: Europa lehnen wir ab, wollen aber natürlich in einem friedlichen Europa leben, in einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, aber mehr eben auch nicht. Doch was anderes ist eine gemeinsame europäische Politik als die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen? Natürlich wird weiterhin der Austritt aus dem „Experiment Euro“ gefordert — als wäre das einfach mal ein Versuch gewesen, den man jederzeit abrechen könnte. Und die gemeinsame Wirtschaftspolitik erschöpft sich darin, dass Deutschland gerne profitieren kann von den Ungleichgewichten, die es verursacht, aber bitte nicht in Haftung genommen werden darf für die Folgen, die dieses Ungleichgewicht verursacht – das ist purer Nationalismus, freilich nicht mehr mit dem Gewehr in der Hand, sondern mit anderen Mitteln.

3. Innere Sicherheit
Das Thema innere Sicherheit ist für die AfD als rechte Partei von zentraler Bedeutung. Gleich zu Anfang wird das Zerrbild eines Landes gemalt, dessen Rechtsstaatlichkeit am Boden liegt: »Dem Recht« soll »wieder zur Durchsetzung« verholfen werden, liest man. Oder auch: »Vor einem Staat, der das Recht mit Füßen tritt, sind auch die Bürger nicht sicher«. Auch nehme die »innere Sicherheit in Deutschland (…) immer mehr ab« und die Polizei sei »ausgezehrt«. Diese unbelegten Behauptungen sprechen besonders verunsicherte Wähler an, die sich insgesamt vor einer ungewissen Zukunft fürchten. Darüber hinaus werden viele Vorurteile bedient: eine »steigende Brutalität jugendlicher Krimineller« wird diagnostiziert genauso wie eine »immer mehr um sich greifende Aggressivität gegen Amtspersonen«. Unter der Überschrift »Opferschutz statt Täterschutz« wird suggeriert, dass Straftäter in Deutschland besser geschützt würden als ihre Opfer. Vor allem ausländische Straffällige würden geschützt und nicht einfach ausgewiesen – so als würde gerade die Straffälligkeit von ausländischen Mitbürgern rein charakterliche Gründe haben und nicht in ihrer schwierigen, teilweise ausweglosen Situation hier in Deutschland begründet sein. Gerade gegenüber besonders Schutzbedürftigen legt die AfD eine besonders harte Law-And-Order-Haltung an den Tag.
Interessant ist die Forderung, das Waffengesetz nicht zu verschärfen, denn das führe zu einer »Kriminalisierung unbescholtener Bürger«. Wozu jemand in Deutschland Waffen benötigen sollte, wird nicht thematisiert — andeutungsweise sollen Waffen aber durchaus zum Selbstschutz dienen. So kann man lesen: »Die Kriminalisierung von Waffenbesitz schreckt Täter nicht ab, sondern macht Opfer wehrloser.« Waffenbesitzer haben also Waffen, um als Opfer nicht wehrlos zu sein, sondern sich verteidigen zu können. Dass Katastrophen wie die in Winnenden nur und ausschließlich vorkommen, weil es in Familien, in privaten Wohnungen Waffen gibt, wird nicht thematisiert.

4. Außen- und Sicherheitspolitik
»Als drittgrößter Beitragszahler der UNO« fordert die AfD einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat – so als ob die wirtschaftliche Macht und Größe zwangsläufig einen größeren politischen Einfluss im Sicherheitsrat bedeuten würde. Dieser Materialismus zeigt sich auch in der Forderung, dass die NATO als ein rein westliches Militärbündnis den »Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und (…) die gleichberechtigte Nutzung der globalen Ressourcen« sicherstellen müsste. Was soll das heißen? Notfalls sorgen wir mit Militärgewalt dafür, dass wir weiterhin Zugang zu billigen Rohstoffen haben werden – auch wenn diese nicht in Europa oder Amerika zu finden sind? Und natürlich braucht man, wenn man Krieg führen will, entsprechendes Personal. Deshalb soll, wenn es nach der AfD geht, die Wehrpflicht wieder eingeführt werden.

5. Arbeitsmarkt und Sozialpolitik
Dafür, dass sich die AfD angeblich für eine »soziale Marktwirtschaft« stark macht, bleibt der Punkt »Arbeitsmarkt und Sozialpolitik« erschreckend inhaltsleer. Von einer Entbürokratisierung des Arbeitsmarkts ist die Rede und von einer Umorganisation der Bundesagentur für Arbeit, von der Beibehaltung des Mindestlohns und der Umwandlung des Arbeitslosengelds II in eine »aktivierende Grundsicherung« — bei der zu vermuten ist, dass die finanziellen Daumenschrauben nur noch fester angezogen werden bei Menschen, die sich nicht »aktivieren« lassen oder »aktivieren« lassen wollen. Ansonsten erschöpft sich die Sozialpolitik in Forderungen, Familien stärker zu fördern. Dass Deutschland insgesamt bereits eine Spitzenposition einnimmt in der Familienförderung als Ganzes spielt für die AfD keine Rolle. Und es wird davon ausgegangen, dass man durch finanzielle Anreize eine »demographische Fehlentwicklung« korrigieren könnte. Dass dies nicht möglich ist, sollte inzwischen bekannt sein, denn der Rückgang der Geburtenrate hat nichts mit finanziellen Anreizen zu tun. Und schließlich spricht es für ein sehr eigenartiges Verständnis von Gesellschaft, wenn eine natürliche, wenig beeinflussbare demographische Entwicklung als »Fehlentwicklung« bezeichnet wird.

6. Familie und Kinder
Nicht dass es ausreichend gewesen wäre, dass der vorige Abschnitt bereits im Schwerpunkt von Familien und Familienförderung gehandelt hat. Die AfD widmet »Familie und Kindern« ein weiteres langes, sehr ausgiebiges Kapitel. Natürlich darf nicht fehlen, dass »Ehe und Familie« die »Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft« seien und auch, dass die »Wertschätzung für die traditionelle Familie zunehmend verloren« ginge. Schuld sei das ominöse »Gender Mainstreaming und die generelle Betonung der Individualität«. Auch hier klingt das Parteiprogramm so, als ob eine böse Macht all dies bewusst planen und durchführen würde. Dass es die Bevölkerung, die Einwohner selbst sind, die mehrheitlich eine flexiblere Lebensgestaltung bereits leben, wird ausgeblendet. Stattdessen wird auf den folgenden fünf Seiten im Kern wieder und wieder eine stärkere finanzielle Unterstützung von Familien gefordert. Man bekommt den Eindruck, dass die Mitglieder der AfD vor allem geldgeil sind und die private Entscheidung, ein traditionelles Familienleben zu leben, finanziell entlohnt haben möchten.
Unter dem Punkt »Mehr Kinder statt Masseneinwanderung« wird dargelegt, dass muslimische Migranten »nur ein unterdurchschnittliches Bildungs- und Beschäftigungsniveau« erreichten und mit einer Geburtenrate von 1,8, die weit über der von »deutschstämmigen Frauen« liege, »ein ethnisch-kultureller Wandel der Bevölkerungsstruktur« verstärkt würde. Dies führe zu einer »konfliktträchtigen Multi-Minoritätengesellschaft«. Wenn muslimische Bürger ein unterdurchschnittliches Bildungs- und Beschäftigungsniveau erreichen, dann ist das aber doch eine Fehlentwicklung im Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland und keine gottgegebene, durch den religiösen Glauben determinierte Dummheit, wie die AfD rassistisch glauben machen will! Darüber hinaus scheint es in Deutschland nach Ansicht der AfD Einwanderung nur zu geben, um die demographische Entwicklung zu beeinflussen. Dass Einwanderung und Migration vielfältige handfeste Ursachen hat und eben nicht einfach zu Steuern ist, sollte inzwischen auch bei der AfD angekommen sein. Migration und Völkerwanderung gab es schon immer und wird es auch immer ganz unabhängig von demographischen Entwicklungen geben.

Paul Simon schreibt hierzu passend: »Man kann es freilich nicht beweisen, aber viele Rechte werden wohl insgeheim wissen, dass eine multi-ethnische Gesellschaft durchaus friedlich und (mit etwas Mühe) solidarisch sein kann. Es wäre aber eine Gesellschaft, die ihnen persönlich nicht gefallen würde: kulturell uneinheitlich, liberal, moralisch beliebig, endgültig “verwestlicht” und von der eigenen Volksidentität entfremdet, sozialdemokratisch, voller Kulturfremder, kurz: Es wäre keine Deutsche Gesellschaft mehr, mit allem was dieses Deutsch im Kopf eines Rechten beinhaltet. Erst aufgrund dieser normativen Festlegung beginnen sie, mühsam Anzeichen des kommenden Zivilisationszerfalles oder gar Bürgerkrieges zusammenzutragen – um schließlich, mit sorgenvoller Miene und großem Ernst in der Stimme verkünden zu können: “Freiheit und Gleichheit – das wird nur ohne die Ausländer gehen!”«

7. Kultur, Sprache und Identität
Das Kapitel über Kultur, Sprache und Identität macht deutlich, wie nationalistisch und abgeschlossen die AfD denkt. Die »deutsche Leitkultur«, die ihre Wurzeln im Christentum, in der wissenschaftlich-humanistischen Tradition bzw. der Renaissance und Aufklärung und im römischen Recht habe, wird über alles andere gestellt. Die AfD möchte sich abschotten, Multikulturalismus ist für sie eine »Ideologie«, eine »ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit.« Wieder Paul Simon dazu sehr treffen: »In diesem verdinglichten, essentialistischen Kulturbegriff existieren kulturelle Identitäten als abgeschlossene Einheiten, die von einem ebenso abgeschlossenen Kollektiv getragen wird. Es gibt also eine nationale Kultur, deren Träger ein Volk ist, welches wiederum auf einer höheren Ebene Teil der europäischen Kultur sein mag. In jedem Fall aber bilden so verstandene Kulturen eine abgeschlossene Einheit.«
Die AfD wendet sich auch explizit gegen eine Diffamierung von Islamkritik. »Der Islam gehört nicht zu Deutschland« muss man doch schon mal sagen und schreiben dürfen, ohne dafür als islamophob oder als Rassist diffamiert zu werden. Weiterhin fordert die AfD »ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung durch Burka und Niqab«, denn das widerspreche der »Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen sowie der freien Entfaltung der Persönlichkeit«. (Dass an anderer Stelle die »Gleichberechtigung und freie Entfaltung der Frau« für die AfD nur im Rahmen der Familie als hauptberufliche Mutter mit einem treusorgenden Ehemann als Ernährer denkbar ist, wird hier nicht erwähnt. Und dass sich für die AfD die fehlende Gleichstellung offenbar nur im Tragen eines Schleiers äußert, lässt tief blicken.)

8. Schule, Hochschule und Forschung
Das Kapitel zur Bildung ist wieder ein Beispiel für die Mischung von durchschnittlich konservativen, auch liberalen und eben reaktionär-esoterischen Forderungen. Forschung und vor allem ihre Finanzierung soll politisch unabhängig sein, dann sollen die früheren Studienabschlüsse Magister, Diplom und Staatsexamen wieder eingeführt werden ohne Bezugnahme auf eine europäische Vereinheitlichung von Examina. Zwischendurch wird gefordert »Gender-Forschung« abzuschaffen. Diesem eigenartigen und ganz zentralen, aber äußerst diffusen Feindbild der AfD wird in der Folge noch ein eigenes Unterkapitel gewidmet, wo sich die AfD gegen das »Gender Mainstreaming« und eine »Frühsexualisierung« ausspricht. Auch hier wird eine Entwicklung heraufbeschworen und herbei ereifert, die es in der Realität schlicht nicht gibt. Von »staatlich geförderten Umerziehungsprogrammen« in Kindergärten und Schulen ist die Rede. Was sollte der Staat den umerziehen? Dass es verschiedene Geschlechter jenseits der Dualität von Mann und Frau und diverse sexuelle Orientierung gibt, die eben nicht anerzogen und erst recht nicht »staatlich verordnet« sind, ist Stand der Forschung – ob es der AfD und ihren Anhängern gefällt oder nicht. Durch Ignoranz oder gar Ausgrenzung ändert man nichts an ihrer Existenz. Eine »Verunsicherung der Kinder in Bezug auf ihre sexuelle Identität« sei einzustellen — so als ob Pubertät und alle mit ihr verbundenen Verunsicherungen bezüglich der eigenen geschlechtlichen Identität und Rolle von staatlichen Stellen herbeigeführt wäre und nicht dem normalen Gang der Dinge entspräche. Diese Ansichten sind weder konservativ und schon gar nicht liberal sondern in hohem Maße ausgrenzend und realitätsverweigernd.

9. Einwanderung, Integration und Asyl
Auf die Stammtischparole »Das muss man doch mal sagen dürfen!« lässt sich der gesamte Abschnitt verkürzen. Die AfD fordert (passender Weise in diesem Kapitel) das »selbstverständliche Recht auf freie Rede für freie Bürger« — als gäbe es das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht mehr und müsste neu eingeführt werden. Dabei ist es schlicht der Gegenwind, der den rechtspopulistischen, teilweise faschistoiden Äußerungen der AfD hier entgegen weht und der zu jeder demokratischen Diskussion gehört. Darüber hinaus gibt es auch in der freien Meinungsäußerung Grenzen, die die AfD oft auslotet und eben auch überschreitet.
Deutschland sei kein Einwanderungsland, ist die Grundannahme, so als ob das eine Regierung, ein Staat oder eine Bevölkerung beschließen könnte und es nicht gerade hier die Macht des Faktischen ist, die ein Land zu einem Einwanderungsland macht. Die AfD fordert die Abschottung Deutschlands, ein Asylrecht, das kaum noch diesen Namen verdient, und sogar die Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der EU – denn alle, die zu uns kommen, wollen sich einzig und allein in die soziale Hängematte legen, so die Überzeugung der AfD. Wenn Menschen bei uns bleiben dürfen, müssen sie sich nach Ansicht der AfD natürlich »integrieren«, was soviel heißt wie »assimilieren«, angleichen in Lebensstil und Lebensführung. Alles andere akzeptiert die AfD nicht.

10. Wirtschaft, digitale Welt und Verbraucherschutz
In der Wirtschaftspolitik vertritt die AfD einen extrem neoliberalen Kurs. Zwar spricht sie beständig von »sozialer Marktwirtschaft«, was das soziale Element sein soll, verrät sie aber an keiner Stelle. Stattdessen freie Märkte, keine staatlichen Eingriffe, freier Wettbewerb etc. Soziale Marktwirtschaft heißt für die AfD nicht, dass die Kräfte auf den freien Märkten gebändigt werden, um Menschen vor ihren extremen Auswirkungen zu schützen, sondern »sozial« hat für die AfD schlicht keinerlei Inhalt und Bedeutung. Die weiteren Forderungen sind populistisch und dienen rein dem Stimmenfang: kein TTIP, Bürokratie abbauen, Subventionen abbauen (außer die für klassische Familien, natürlich), keine Privatisierung gegen den Willen der Bevölkerung (?), Ausbau des Verbraucherschutzes.

11. Finanzen und Steuern
Auch in diesem Kapitel ist nicht recht ersichtlich, warum »der kleine Mann« die AfD wählen sollte. Zwar fordert die AfD ein gerechteres Steuersystem und ein Familiensplitting, aber auch eine Obergrenze für Steuern und Abgaben und die Abschaffung von Gewerbe-, Vermögens- und Erbschaftssteuern, wodurch allein die Vermögenden profitieren. Auch die Wiedereinführung des Bank- und Steuergeheimnisses bringt vor allem den Gutbetuchten etwas, denn für sie lohnt sich die Geheimniskrämerei besonders.

12. Energiepolitik
Die Energiepolitik im Sinne der AfD hieße, alle Gesetze zum Schutze der Umwelt rückgängig zu machen, den Atomausstieg rückgängig zu machen, Bio- und erneuerbare Energie nicht mehr zu fördern und stattdessen Fracking auszuprobieren. Wie sie dennoch konkret das Klima und die Umwelt durch eine aktive Energiepolitik schützen will, lässt sie im Dunkeln.

13. Natur- und Umweltschutz, Land- und Forstwirtschaft
Natürlich will die AfD die Natur schützen, wie sie das konkret machen will, bleibt aber auch in diesem Abschnitt unklar. Glyphosat soll weiterhin als Pflanzenschutzmittel verwendet werden dürfen, Windräder sollen die Umwelt nicht mehr verschandeln, Gentechnik soll freizügiger erlaubt werden, die Subventionen für Landwirte sollen gekürzt werden … alles weniger Maßnahmen zum Schutz der Natur als eher zur weiteren Nutzung und Ausbeutung der Natur.

14. Infrastruktur, Wohnen und Verkehr
Die AfD fordert den Erhalt von Straßen- und Schienennetz und auch, dass mehr Güter auf die Schiene verlagert werden sollen – gleichzeitig will sie aber auch die »freie Nutzung der Verkehrsmittel ohne Schikanen«, was soviel heißt, dass die AfD nicht lenkend eingreifen wird, um die Schiene bzw. den ÖPNV zu stärken. Im Rahmen der Baupolitik fordert die AfD, dass möglichst schnell möglichst viele Wohnungen gebaut werden – dafür solle auch auf Regelungen des Umweltschutzes verzichtet werden, denn diese hemmten nur die Bautätigkeit. Und schließlich will die AfD den ländlichen Raum stärken – durch »umfassende Programme«, die jedoch nicht weiter konkretisiert werden.

Insgesamt zeigt das Parteiprogramm, dass die AfD vor allem eine rechtspopulistische, neoliberale Partei ist, die alles für Vermögende und Industrielle tut, für einfache Bürger aber nur sehr verhalten das fordert, was Zuspruch breiterer Wählerschaften bedeutet (z.B. TTIP).

So fasst Paul Simon passend zusammen: „Um konkret zu werden: Rechte glauben, dass die gesellschaftliche Macht denen entglitten ist, die sie ausüben sollten. Deutschland hat seine Souveränität verloren: Im internationalen Rahmen an die Globalisierung und die Westbindung, binnengesellschaftlich durch einen links-sozialen Konsens, durch die Herrschaft einer medialen und politischen Klasse, welche die Ansprüche von Schwachen, Minderheiten und Fremden achtet und verteidigt, für die Interessen und Werte der “normalen”, produktiven, etc. Mehrheitsgesellschaft aber nur Verachtung übrig habe. Von diesen Verhältnissen fühlen sich Rechte unterdrückt, und diese linksliberale Hegemonie wollen sie abschaffen. Sie wollen die Macht zurückerobern.

Das bedeutet aber auch: Sie wollen, dass der Staat gewissen Gruppen gegenüber, und das sind eben keineswegs nur ‚Fremde‘, weniger nachgiebig auftritt, sondern härter, bestimmender und fordernder. Die Rechten sehen in diesem Projekt schlicht die legitime Rückeroberung der gesellschaftlichen Hegemonie durch das normal denkende Bürgertum (oder das, was sie dafür halten) – tatsächlich ist es ein Griff nach der politischen Macht seitens einer autoritär denkenden Minderheit und eine Bedrohung der Freiheit der großen Mehrheit der Deutschen, auch wenn sie blonde Haare haben.“

Zwu/29.04.2016