Kennzeichnungspflicht? Bürgerfreundliches Versammlungsgesetz? Bisher nichts als leere Versprechungen!

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Kennzeichnungspflicht
Symbolfoto / Archivbild

Zwei Initiativen der Rot-Grünen Landesregierung, die durch die Geschehnisse rund um die Proteste gegen das Immobilienprojekt Stuttgart 21 besondere Relevanz erhielten, warten noch immer darauf, umgesetzt zu werden. Beide stehen im Koalitionsvertrag auf Seite 66 direkt hintereinander: „Wir werden eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei sog. ‚Großlagen‘ einführen, unter strikter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Polizistinnen und Polizisten.
Wir werden die Beschlussempfehlungen im gemeinsamen Minderheitenvotum von SPD und GRÜNEN im Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Polizeieinsatzes am 30.9.2010 in Stuttgart umsetzen. Dazu gehört auch ein bürgerfreundliches Versammlungsgesetz für Baden-Württemberg.“

Beide Punkte stehen übrigens unter der Überschrift „Gewalt gegen Polizei stoppen“. Wie ein bürgerfreundliches Versammlungsgesetz zu dieser Überschrift passt, bleibt fraglich – genauso wie der Umstand, dass eine Kennzeichnungspflicht immer natürlich auch die Bürger vor ungerechtfertigter Gewaltanwendung durch die Polizei schützen soll. Das traute man sich aber in dieser Deutlichkeit wohl nicht zu sagen.

Kennzeichnungspflicht - einmal anders
Symbolfoto / Archivbild

Zur Kennzeichnungspflicht: Die Gewerkschaft der Polizei lehnte erst Anfang Dezember erneut in einer Pressemeldung die Kennzeichnungspflicht von Polizistinnen und Polizisten grundsätzlich ab. Sie sieht „durch eine Zwangskennzeichnung insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des betroffenen Beamten verletzt““. Darüber hinaus blende eine Kennzeichnung von Polizeibeamten aus, dass durch Filme und Bilder, die im Internet veröffentlicht würden, „eine Verfolgbarkeit bis ins Private hinein sehr leicht möglich“ sei. Es gebe darüber hinaus keine Belege dafür, „dass eventuelles Fehlverhalten einzelner Polizistinnen oder Polizisten nicht verfolgt werden konnte, nur weil eine Kennzeichnung gefehlt hat.“

Dass allein im Rahmen der Ermittlungen rund um den 30.09.2010, dem schwarzen Donnerstag, 156 Verfahren gegen unbekannte Polizeibeamte eingestellt werden mussten, weil die beschuldigten Beamten nicht identifiziert werden konnten, zeigt, wie dringend geboten eine Kennzeichnungspflicht ist. Gegen Gegner des Immobilienprojekts wurden weniger als die Hälfte an Verfahren wegen derselben Begründung eingestellt. Polizeibeamte sind für die Staatsanwaltschaft also schwieriger zu ermitteln als Demonstranten, obwohl man alle Polizisten eines Einsatzes namentlich kennt, während der Großteil der Demonstranten, zumal am 30.09.2010 der Polizei und Staatsanwaltschaft unbekannt gewesen sein dürfte. Eine Relation, die zu denken gibt.

Die Gewerkschaft der Polizei stellt die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht als „„gnadenlose Vorverurteilung“ dar. Befürworter sollten „ihre Einstellung zu unserem Staat, dem Grundgesetz und dem Gewaltmonopol überprüfen.“ Dabei ist es gerade das Gewaltmonopol, bei dem der Staat besonders achtsam und sensibel sein muss. Ob es tatsächlich Befürworter der Kennzeichnungspflicht sind, die eine zweifelhafte Einstellung zum Grundgesetz und dem Gewaltmonopol des Staates haben, ist fragwürdig – man kann das durchaus auch anders sehen.

Es gibt aktuell eine Onlinepetition, die die Landesregierung und speziell Innenminister Gall dazu auffordert, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kennzeichnungspflicht von Polizisten bei Großeinsätzen endlich umzusetzen.

Versammlungsfreiheit
Symbolfoto / Archivbild

Zum bürgerfreundlichen Versammlungsgesetz: Vor dem Hintergrund des VGH-Urteils zur Montagsdemo auf der Schillerstraße bekommt die Initiative für ein bürgerfreundliches Versammlungsgesetz eine ganz neue Aktualität und Dringlichkeit. Das Urteil des VGH entscheidet schlicht nach dem Recht des Stärkeren. Wer mehr auf die Wage bringt, zählt mehr! Dieses skandalöse Urteil, das die Versammlungsfreiheit deutlich und nachhaltig einschränkt, wartet auf eine Kommentierung der Grünen Landesregierung und des Grünen OB. Wie passt das zum Ziel eines bürgerfreundlichen Versammlungsgesetzes?

Dass das Land Baden-Württemberg allgemein und die Stadt Stuttgart im Besonderen eine sehr fragwürdige Auffassung der Versammlungsgesetzes hat, zeigt sich an vielfacher Stelle gerade bei der juristischen Verfolgung von Gegnern des Immobilienprojekts Stuttgart 21. Nicht nur die überzogene Verfolgung von Versammlungsleitern, auch die Verfolgung von Versammlungsteilnehmern nimmt extreme Formen an. Das Stuttgarter Amt für Öffentliche Ordnung, die Polizei und die Staatsanwaltschaft beschneiden in gemeinsamer Absprache massiv das Grundrecht auf Versammlung, um die politisch unliebsamen Gegner des Immobilienprojekts endlich von der Straße und aus der öffentlichen Wahrnehmung zu bekommen. “Das Versammlungsrecht ist in dieser Stadt nicht existent. Die Behörden dieser Stadt – und ich schließe hier die Justiz mit ein – treten das Versammlungsrecht mit Füßen”, so Rechtsbeistand Holger Isabelle Jänicke vom Rechtsbüro Hamburg. Beispielhaft mag hier die aktuelle Verurteilung von Aktivisten stehen, die am Abend vor einer Fällaktion im Landschaftsschutzgebiet des Rosensteinparks das Stuttgarter Rathaus besetzten.

An beiden Initiativen zeigt sich beispielhaft, wie ernst es der grün-roten Regierung und auch dem grünen Oberbürgermeister ist mit der Umsetzung von eben den Wahlversprechen, die gerade viele Wähler aus der Widerstandsbewegung gegen Stuttgart 21 dazu brachten, bei den Landtagswahlen Grün bzw. den grünen Oberbürgermeisterkandidaten zu wählen. Die Kennzeichnungspflicht ist nach lauten Protesten der Polizeigewerkschaft jetzt erst einmal vom Tisch; der Novellierung des Versammlungsgesetzes müsse erst noch eine breite Diskussion vorausgehen, so die Pressestelle des Innenministeriums. Diese soll im Jahr 2014 beendet sein. Konkreter wollte sich das Ministerium nicht äußern: wer wann wo über was diskutiert, ist nicht erkennbar – unter einer „breiten Diskussion“ stellt man sich gemeinhin etwas anderes vor. Viel Zeit hat die Landesregierung nicht mehr.

 

28.01.2014/zwu
LoB – 28.01.14 (Bilduntertitel)