Kommentar zum 12.12.13 in Stuttgart

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IMG_4135von Zwuckelmann

Gestern Abend war der Bundespräsident zu Besuch in der Uni Stuttgart, um die Gedenkvorlesung zum 50. Todestag von Theodor Heuss zu halten. Der Titel seines Vortrags war „Mehr Bürgerbeteiligung wagen“. Neben den teilweise zu salbungsvollen Worten, die aber einem Pastor leicht zu vergeben sind, war seine Rede inhaltlich gut, sehr humorvoll und auch spontan. Im Anschluss gab es noch einen Empfang, bei dem sich der Präsident sicher eine Stunde unter das Volk mischte und man Gelegenheit hatte, mit ihm zu reden.

Bundespräsident Gauck sprach mehrfach in seiner Rede davon, was wohl Heuss zu einzelnen heutigen Aspekten der modernen Zivilgesellschaft gesagt hätte. Er nahm ihn im Geiste mit zu einem Spaziergang durch die Gesellschaft. Genau so möchte ich Herrn Gauck gerne zeigen, wie man in Stuttgart aktuell mehr Bürgerbeteiligung wagt.

Dem Vortrag spricht es hohn, was gestern in Stuttgart passiert ist – und die Koinzidenz dieser Ereignisse ist zumindest bemerkenswert und zeigt, wie leicht es ist, von Bürgerbeteiligung zu sprechen und wie schwer, Bürgerbeteiligung tatsächlich und angemessen zu leben – und zu ertragen!

Der VGH in Mannheim erlaubt es der Stadt Stuttgart, die Montagsdemos nach 200 Montagen wegen Verkehrsbehinderungen in eine klitzekleine Seitenstraße zu verlegen. Herangezogen wurden höchst fragwürdige Zahlen – im Übrigen sehr erstaunlich, dass das Gericht tatsächlich die angeblichen Anzahlen der Demonstranten gegen die angeblichen Anzahlen der im Stau stehenden Autos gegeneinander abwog. Gewonnen hat die StVO, verloren hat das Grundgesetz. So stellt sich der Bürger „mehr Bürgerbeteiligung wagen“ vor.

Die Erörterung zum Planänderungsverfahren bezüglich der abzupumpenden Grundwassermenge wurde gestern in der Messe fortgesetzt. Nach einer fünftägigen Erörterungsverhandlung vor vielen Wochen bereits wurde der Bevölkerung ein weiterer Tag zugestanden, an dem noch ein einziges weiteres Thema behandelt werden sollte. Die zahlreichen noch gar nicht angesprochenen Themen interessierten nicht, das heißt, Einwendungen hierzu wurden gar nicht erst erörtert. So stellt sich der Bürger, dessen Haus von einem S21-Tunnel unterfahren wird oder neben dessen Haus am Hang das Grundwasser metertief abgepumpt wird, „mehr Bürgerbeteiligung wagen“ vor.

Schließlich wurde gestern Nacht ein Lager der riesigen Tunnelbohrmaschine vom Hafen auf die Filder gebracht. Die Polizei spricht von einem erfolgreichen Einsatz und das Transportunternehmen spricht davon, dass der Schwertransport pünktlich auf der Baustelle angekommen sei. 120 Demonstranten zählte die Polizei, 90 davon ließen sich wegführen. Wieso die Polizei von einem erfolgreichen Einsatz spricht, ist mir nicht nachvollziehbar, denn ich zählte mindestens 100 Polizeibusse, darüber hinaus waren über ein Duzend Zivilpolizeiautos vor Ort, zwei Gefangenentransporter und die üblichen weiteren Fahrzeuge wie Flutlichtanlage, LKW mit Hamburger Gittern etc. Wie kann die Polizei von einem erfolgreichen Einsatz sprechen, wenn sie für 120 Demonstranten einen solchen Aufwand mit mindestens 500 Bereitschaftspolizisten betreibt? Die Kosten stehen wohl in keinem Verhältnis zum Sinn und Zweck des Einsatzes und des Protests. Es war skurril, im nächtlichen Nebel diesen Aufwand zu beobachten, der wieder mehr an Krieg als an Rechtsstaat erinnerte. Die Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart setzte dem ganzen nur die Krone auf. Die neue Stuttgarter Linie, das wissen wir bereits seit längerem, setzt nicht mehr auf Deeskalation, sondern schlicht auf Einschüchterung. Der Staat zeigt seinen Bürgern, wo der Hammer hängt. So stellt sich der Bürger „mehr Bürgerbeteiligung wagen“ vor.

So wagt Stuttgart also mehr Bürgerbeteiligung – und das mit grün-roter Landesregierung und einem grünen Stadtoberhaupt. Harte Schläge und man mag kaum glauben, dass dieses Zusammenspiel der Ereignisse zufällig in dieselbe Woche, ja sogar auf denselben Tag gefallen sind. Auch der gestrige Tag ist ein schwarzer Donnerstag für unsere Bürgerbewegung. Wichtig ist, dass wir weiter machen, dass wir uns von dem konzertierten Vorgehen, die Bürgerbewegung nun endlich zu zerschlagen, nicht unterkriegen lassen. Es gibt noch viele Montage. Wir müssen weiterhin zeigen, was es praktisch heißt, mehr Bürgerbeteiligung in Stuttgart zu wagen.

Oben bleiben!

LoB – 13.12.13

4 Kommentare

  1. @ Tomas
    Zitat: „Es ist unwahrscheinlich, dass sich Herr Gauck mit dem Projekt S21 und seiner politischen Geschichte so eingehend beschäftigt hat, dass ihm “Ungereimtheiten” ausgefallen sind.“ Doch, doch, lieber Thomas, hat der gute Mann in all seiner Sattheit, die er immer wohlgefällig vor sich hergetragen hat. Wenn man zu allem etwas weiss, aber darüber nichts weiss, und das gut in geschliffener Rede verkaufen kann, dann sind wir bei Herrn Gauck. Auch in Sachen S21.

    Ich zitiere diesen satten Mitbürger aus der ehemaligen DDR, der es eigentlich besser wissen müsste aus der StZ: „Joachim Gauck, ehemaliger Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, hat die Politik aufgefordert, das Bahnprojekt Stuttgart 21 trotz der Bürgerproteste zu realisieren. In jahrelangen Prozessen seien Entscheidungen zu dem Milliardenvorhaben gefallen, die bekannt gewesen seien, sagte der ehemalige DDR- Bürgerrechtler in der ARD-Sendung „Beckmann“ am Montagabend. » „Und diese Entscheidungen jetzt nicht zu vollziehen, das wäre ja fast eine Straftat. Die Politiker, die jetzt sagen, ich baue einfach nicht weiter, die dürfen das gar nicht tun, wenn sie sich selbst ernst nehmen.“ “ l. c. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.appell-an-die-politiker-joachim-gauck-gegen-baustopp.fdf2cdd3-1cc6-40b7-aea4-254e8522068c.html

    Er war noch nie anders, der stets verbindliche und abgrundtief nette Herr Gauck. Musste er wohl auch in der ehemaligen DDR als bevorzugter Bürger des realen Sozialismus nicht sein. Zitat:“Als Systemkritiker ist er in der DDR nie aufgefallen. Pastor war er auf Fischland/Darß, genau dort wo die DDR-Nomenklatura bevorzugt Urlaub machte, mit Jagdgebiet und Ferienhäuschen.
    Man kann Joachim Gauck als einen Begünstigten der Stasi bezeichnen.
    Er war Reisekader und seine Söhne durften in den Westen ausreisen ohne den Umweg über eine Gefängnisstrafe.
    Und selbst danach ist der Gauck nicht in Ungnade gefallen. Er behielt seinen Reisepass und selbst seine Söhne konnten besuchsweise wiederkommen.
    Dies alles sind Privilegien die keinem DDR-Durchschnittsbürger von der Stasi gewährt wurden.
    Und ganz zum Schluss 1989 wurde unser Joachim Gauck sogar noch Bürgerrechtler.
    Voller Tatendrang löste er als Mitläufer die Stasi auf.
    Wie sagte der letzte DDR Innenminister Diestel einmal, die meisten Leute am Runden Tisch waren vom MfS.
    Und nun kommt so ein Verräter daher, ein Snowden.
    Da heiß es auch für unseren BP geistig moralische Kontinuität an den Tag zu legen und den Bösewicht verdammen.
    Also nix mit Wendehals, der Genosse Gauck ist sich treu geblieben.“ Leserzuschrift von „August“ nachzulesen unter http://qpress.de/2013/07/02/purer-verrat-ist-nichts-fur-wendehals-und-system-prasident-joachim-gauck-er-hadert-mit-snowden-und-der-freiheit/

    Und noch ein Nachklapp zu S21: „Joachim Gauck über Bürgerproteste

    Negativ äußerte sich Gauck auf einer „Zeit“-Veranstaltung zu den Protesten um Stuttgart21. Besonders warnte er vor einer Protestkultur, „die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht“. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst bezeichnete er als „abscheulich“. Monate zuvor hatte der Kandidat die Proteste noch als gutes Zeichen für die Demokratie gewertet: „Egal, wie man die Proteste über Stuttgart21 inhaltlich bewertet, muss man sich darüber freuen, dass sich Bürger von ihren Sofas erheben und an der demokratischen Willensbildung teilnehmen.“ “ l.c. http://www.sz-online.de/nachrichten/was-joachim-gauck-wirklich-gesagt-hat-63061.html

    Ich verlange noch nicht einmal von diesem Buprä, dass er sich um unser Gesetz und Recht kümmert, gegen das dieses Betrugsprojekt auf der ganzen
    Linie verstösst und Gesetz und Recht im Zusammenhang mit diesem Projekt einfordert. Das „Sängerstrassenurteil“ des BVerfG, das sich auf das skandalöse VGH-Urteil zur Leistungsfähigkeit aus dem Jahre 2006 beruft, wäre eine Rechtsprechung, die dem ehemaligen Unrechtsstaat alle Ehre machte und Gauck zur Ehre gereichte, würde er solches Gebaren unserer Verfassungsinstitutionen in der Öffentlichkeit geisseln wie es Geissler wenigstens im Ansatz während der Schlichtung getan hat. Aber da das für diesen Menschen bei weitem zu hoch gegriffen ist, wünschte ich mir ganz bescheiden von diesem Mann, dass er beginnt, das Evangelium als Beispiel vorzuleben. Wie es der TIME-Magazin Mann des Jahres Papst Franziskus tut. Alles andere fiele ihm dann zu. Aber das kann er nicht. Er findet sich über solches ganz offensichtlich weit darüber hinaus gewachsen.

  2. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Herr Gauck mit dem Projekt S21 und seiner politischen Geschichte so eingehend beschäftigt hat, dass ihm „Ungereimtheiten“ ausgefallen sind. Teile Stuttgarts fallen so einem „bedauerlichen Irrtum“ und einer Demokratie-Täuschung zum Opfer, die vielleicht in späteren Generationen mal die Chance haben, stadtgeschichtlich aufgearbeitet zu werden. Der Widerstand gegen das Milliardengrab wird dann möglicherweise den Respekt erfahren, den er heute verdient hätte.

  3. Ja , vieleicht sollten wir auch wie in Kiew solange demonstrieren , bis endlich die nichtsnutzigen regierenden Saubermänner weggefegt sind.Auch dürfen wir uns nicht vorschreiben lassen , wo und wann wir unser Recht in Anspruch nehmen zu demonstrieren. Hier wurde also wieder einmal das Recht gebeugt , und das diesmal von Grün.

  4. Wunderbar und völlig zutreffend sind die tagesaktuellen Ereignisse in
    Bezug gesetzt zu der demokratie- und bürgerfeindlichen Atmosphäre, die immer erdrückender und unerträglicher wird.
    Da fehlt nur noch die weitere gedankliche Verbindung dazu, dass das System Merkel dafür mit Ursache und Katalysator in einem ist, zu der Decke und
    Blockade, die Merkel uns und dem Land überstülpt, bald dann wohl in Union mit der SPD.
    Ob sich Herr Gauck im Kontext seiner Rede auch dazu Gedanken macht…?
    Kann man ihm, Herrn Gauck, diesen gelungenen Artikel konkret zur Lektüre
    zukommen lassen?!

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