S21: Wasserplanung bleibt haltlos – Prof. Thomanetz im Interview

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Stuttgart, 13.07. 2012

Bekanntlich müsste für den Bau von S21 mehr als die doppelte Menge an Grundwasser abgepumpt werden als ursprünglich vorgesehen. Anstatt 3 Mio. Kubikmeter sind es nun inzwischen 6,8 Mio. Kubikmeter Wasser. Weiterhin vollkommen unklar bleiben technische Umsetzung und zusätzliche Kosten daraus.

Nun kommt auch das Eisenbahnbundesamt zu dem Schluss, dass es für diese tief greifenden Änderungen im Grundwassergeschehen ein Planänderungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit geben muss.

Doch wie kam es überhaupt zu derart gravierenden Fehleinschätzungen durch die ursprünglichen Fachgutachten? Ein Teil der Antwort liegt in den höchst komplexen, bisher nicht annähernd verstandenen Dynamiken von Grundwässern im Untergrund des Stuttgarter Talkessels, die eine seriöse Berechnung der zu entnehmenden Menge für den Bau des Bahnhoftrogs zu S21 nahezu unmöglich machen – zumindest zum jetzigen Stand der Kenntnis. Es ist eben nicht nur alles eine Frage der Technik. Ebenso verhält es sich mit den möglichen Auswirkungen eines derart massiven Eingriffs.

Dies bestätigt auch Prof. (i.R.) Dr.-Ing. Dipl.-Chem. Erwin Thomanetz, ehemaliger Leiter der Abteilung Sonderabfall/Altlasten an der Universität Stuttgart. Im Interview mit Wolfgang Isele von der Initiative „Cannstatter gegen Stuttgart 21“ erläutert er seine Verwunderung über die allseits eher oberflächliche Behandlung des komplexen Themas Wasserdynamiken im Bezug auf die Baumaßnahmen zu S21. Sowohl in der Schlichtung zu S21 als auch in den Medien sieht er die ernsthafte Behandlung des Themas als durchweg unterbelichtet.

Dass der Untergrund im Stuttgarter Talkessel bisher nicht annähernd verstanden ist, liegt an den verschiedenen Grundwasserstockwerken mit unterschiedlicher Fließgeschwindigkeit der verschiedenen Grundwässer. Diese unklaren Grundwasser-Strömungsverhältnisse werden derzeit mit dem sog. EU-geförderten MAG Plan untersucht. (Abk. „Management plan to prevent threats from point sources on the good chemical status of groundwater in urban areas“, auf Deutsch: „Bewirtschaftungsplan zur Sicherstellung eines guten chemischen Grundwasserzustandes durch Vermeidung von Schadstoffeinträgen aus Altlasten“)

Verwertbare Ergebnisse aus dem MAG Plan gibt es jedoch erst zu Ende 2014. Um Risiken für das Mineralwasser tatsächlich weitgehend auszuschließen, hätte die DB diese Untersuchungsergebnisse vernünftigerweise zunächst natürlich abzuwarten.

Bereits 1990 hatte das Geologische Landesamt einen Gutachtenentwurf über die Ausweisung eines Mineralquellen-Schutzgebiets für Stuttgart vorgelegt. Danach reichte die Hauptschutzzone voll in den Bereich des geplanten Tiefbahnhofs hinein. Der Entwurf wurde nicht öffentlich, anstatt dessen folgte 1998 ein Gutachten durch andere Bearbeiter, das ausgerechnet diesen hochempfindlichen Bereich ohne prioritären Schutz sieht.

Ebenso nicht ausreichend öffentlich bekannt wurde, dass die Schüttung mancher Mineralquellen bei früheren tief reichenden Baumaßnahmen in den Stuttgarter Untergrund zeitweise um bis zu 40 % zurückging – bis heute gibt es über die Ursachen nur Vermutungen.

Dasselbe gilt für Verunreinigungen einiger Quellen durch chemische Altlasten – theoretisch eigentlich unmöglich, da das Mineralwasser ja unter Druck steht und sich so selbst schützt. Wie die Schadstoffe also dahin gelangen konnten, bleibt schlicht unklar.

Eine weitere Bedrohung für das Mineralwasser sieht Prof. Thomanetz in den starken Bodenverunreinigungen auf dem Gaswerksgelände in Gaisburg, das sich in direkter Nachbarschaft zum Mineralwasser befindet. Angesichts der massiven Bodenbelastung sei es erstaunlich, dass sich diese Schadstoffe im Mineralwasser bis heute nicht nachweisen lassen – erklärbar sei das alleine durch den Druck, unter dem Mineralwasser steht.

Bei Veränderung der Druckverhältnisse, z.B. durch Inbetriebnahme des erheblich erweiterten Grundwassermanagments im Stuttgarter Talkessel, steht dieses bisher stabile Druckgefüge zur Disposition. Gerät es durch Eingriffe in das Gesamtgeschehen ins Wanken, sind die Folgen an Giftstoffbelastung für die Grund- und Mineralwässer kaum absehbar.

Wir danken Prof. Thomanetz und Wolfgang Isele von der Initiative „Cannstatter gegen Stuttgart21“ http://www.leben-in-stuttgart.de/cannstatt/ für das aufschlussreiche Interview.

Danke an den Württembergischen Kunstverein für die freundliche Überlassung von Räumlichkeiten dazu. cams21 hat das Interview am 10.07. 2012 dort aufgezeichnet:



 

Es bleibt angesichts all dieser Unklarheiten ein tiefes Rätsel, auf welcher faktisch verwertbaren Grundlage Umweltminister Untersteller weiterhin davon ausgeht, das Stuttgarter Mineralwasser sei beim Bau von S21 gesichert. Gerade davon kann in wissenschaftlicher Hinsicht offenbar kaum die Rede sein. Noch ist Zeit einzuhalten. Auch für Herrn Untersteller.

Am Samstag, den 14.7. 2012 findet ab 13.30 Uhr eine Demo vor dem Umweltministerium am Kernerplatz statt. Mehr Infos dazu gibt es hier:

http://www.bei-abriss-aufstand.de/2012/07/07/demo-am-kernerplatz-sa-14-juli-1330-uhr/