Stuttgart 21: Ursachenforschung – Entgleisung im Gleisvorfeld

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Stuttgart 02.10.2012

Am Samstag entgleiste bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof der IC 2312 auf dem umgebauten Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Dies ist bereits die fünfte Entgleisung seit Beginn der Baumassnahmen zu Stuttgart 21.

Während die Bahn noch rätselt, welchen völlig unbekannten Umständen sie die Zugentgleisung vom Samstag den 29.09.2012 zu verdanken hat, haben wir einfach mal in die bahneigenen Unterlagen geschaut.

Unterlagen: http://www.deutschebahn.com/site/bahn/de/geschaefte/infrastruktur__schiene/netz/netzzugang/dokumente/Bahnhof/SNB/T/TS__NBS.pdf

Dort findet sich eine Auflistung der Baumaßnahmen im Gleisvorfeld. Der Abschnitt um die Unfallweiche 227 gehört zu dem Bereich „Umbau Gleisvorfeld im Rahmen Stuttgart 21!“ (Siehe folgendes Bild, Seite 9 der Unterlagen)

Dass Bauarbeiten für Stuttgart 21 maßgeblich Auslöser für den Unfall waren, ist kaum von der Hand zu weisen. Warum der Bahn diese Unterlagen wohl nicht vorliegen, bleibt fraglich. Die Aussage eines Bahnsprechers „Ich kann den Zusammenhang zu den ‚Stuttgart 21‘-Bauarbeiten nicht sehen“ (wie im Onlineartikel „Die Welt“ zitiert wird) muss man da schon mit viel Humor nehmen. Selbst das Grüne Verkehrsministerium unter Winfried Hermann scheint aufgrund dieser Vorgänge aus der S21 Stasis aufgewacht zu sein, wie dieser Artikel der Stuttgarter Zeitung zeigt „Minister vermutet Zusammenhang mit „S21″-Bauarbeiten“


Anmerkung der cams21 Redaktion

Wir erhielten ein Schreiben der Deutschen Bahn AG, Kommunikationsbüro Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V. die uns freundlichst darauf hingewiesen haben, dass oben stehendes Zitat eines Bahnsprechers : „Ich kann den Zusammenhang zu den ‚Stuttgart 21‘-Bauarbeiten nicht sehen“ von uns unabgestimmt verändert bzw. verändert veröffentlicht wurde und nicht die tatsächlichen Aussagen von Hr. Dietrich sind. Dieses Zitat stammt aus einem Online Artikel der Zeitung „Die Welt – Zugentgleisung im Stuttgarter Hauptbahnhof löst heftige Debatte aus“ vom 01.10.12. Hier ist dieses Zitat exakt in dieser Form online gestellt. Das Zitat  wurde von cams21 von dort übernommen ohne eine Änderung daran vorzunehmen. Ob es sich bei dem Bahnsprecher um Wolfgang Dietrich handelt ist nicht bekannt. Trotzdem möchten wir gerne das Zitat so wie es das Kommunikationsbüro an uns übermittelt hat veröffentlichen:

Hier das Zitat: „Wir verwahren uns dagegen, dass im Zusammenhang mit der Entgleisung eines IC im Vorfeld des Stuttgarter Hbf von den Projektgegnern vorzeitige Schlüsse zur Unfallursache gezogen werden. „Derzeit laufen die Untersuchungen der unabhängigen Behörden. Es ist befremdlich, dass noch vor der Feststellung der eigentlichen Unfallursache eine Verknüpfung zu den derzeit laufenden Bauarbeiten im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 gezogen werden“, sagte der Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm, Wolfgang Dietrich.


Nach dem erneuten Entgleisen eines Zuges zweifelt auch der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) an der Sicherheit des Stuttgarter Hauptbahnhofs

Gespannt warten wir auf die ausführlichen Begründungen der Bahn [Siehe Anmerkung der Redaktion unten], welche tatsächlichen Ursachen hinter der Entgleisung stecken. Vermutlich wird der veraltete Stuttgarter Kopfbahnhof dafür verantwortlich gemacht und dies dann auch von den Medien wie gewohnt brav in die Welt verbreitet werden. Denn an einem demokratisch legitimierten Projekt muss auch alles weitere uneingeschränkt legitim bleiben. Umweltschutz, Denkmalschutz, Naturschutz, Unfallverhütung, Brandschutz, Mineralwasserschutz, verfassungskonforme Finanzierung, Stresstest, Schlichtung, Physik, Bürger und Geologie dürfen bei so einem wichtigen Infrastrukturprojekt, selbst bei nachgewiesenem Rückbau und darüber voraussehbaren Nachteilen für die Region, nicht Klotz am Bein sein.


Anmerkung der cams21 Redaktion

Auch hier hat uns das Kommunikationsbüro darauf hingewiesen, dass die Untersuchungen zur Unfallursache nicht unter der Federführung der Deutschen Bahn, sondern der Eisenbahnunfallstelle, einer unabhängigen Behörde laufen.

Auch hier herzlichen Dank an das Kommunikationsbüro für diesen Hinweis.

Interessant ist hier auch ein Artikel der Stuttgarter Nachrichten: Wie unbefangen sind Bahn-Ermittler?

STN Zitat „Nach den zwei Entgleisungen eines Intercity 2312 nach Hamburg binnen 67 Tagen untersucht eine Behörde die Vorfälle, die eng mit jener Behörde verwoben ist, die womöglich ein Mitverschulden treffen könnte.“


Update 04.10.12

Die Grünen-Fraktion im Landtag hat nach der erneuten Entgleisung eines Fernzugs im Bereich des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einem Antrag gefordert, dass die Regierung die Ursachen für das Unglück untersucht. Dies schreibt die Stuttgarter Zeitung am 04.10.2012 16:22 Uhr in ihrem Artikel: Regierung soll Unfall prüfen

Udpate 05.10.12

Video von Egon Hopfenzitz 1 Tag vor der Entgleisung spricht er über das Gleisvorfeld. Ab Minute 6:20 sagt er Unfälle auf dem neu für Stuttgart 21 gebauten Gleisvorfeld vorraus:

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Hopfenzitz am 28.09.12 gegen 14 Uhr: „..und jetzt hat man die Radien zu eng gemacht, da ist unlängst ein IC entgleist […] weil ein ICE Wagen, der Speisewagen, diesen Radius nicht ausfahren konnte, also da wird noch einiges passieren!“

Red / Til

10 Kommentare

    • Wobei sich die Frage stellt was es für den Zugverkehr für einen Unterschied macht. Gesperrte oder nicht befahrbare Gleise bedeuten beides nur eins: Behinderung für den Zugverkehr! Alles andere ist Haarspalterei!
      tilman36

  1. Mir ist der folgende Eintrag im Drehscheibe-Forum zur Entgleisung am 24. Juli aufgefallen, der eigentlich für sich spricht.
    http://www.drehscheibe-foren.de/foren/read.php?2,5998581,page=all

    Datum: 24 Juli, Zeit: 21:59 Uhr

    “Ich habe mit Kollegen gesprochen, die das ganze sozusagen life mitbekommen haben, aus einem Besprechungsraums im 4 OG einen angrenzenden Bürogebäudes. Der Zug ist bei der Ausfahrt, Steuerwagen voraus, also Lok schiebt, anscheinend kurz vor der DKW (Doppelte Kreuzungsweiche) aus den Schienen gesprungen, und zwar die beiden letzten Wagen und die schiebende Lok.
    …. (hier gehts um den Umbau usw.)
    Ich vermute eher eine Überpufferung, wie ich schon vorher erwähnt habe, als Entgleisungsursache.
    Erst gestern bin ich mit einem Nahverkehrszug über diese Stelle gefahren und wollte gerade auf der Suche nach einem Sitzplatz in den nächsten Wagen gehen, als es in den Gegenbogen ging. Bei dem seitlichen Versatz der Wagenkästen (die Gummiwülste verschoben sich derart, daß man dazwischen durchsehen konnte) fragte ich mich, ob da nicht bald die Grenze zur Überpufferung erreicht wird. Bei den Radien müsste IMHO die Zwischengerade mindestens 10 Meter länger sein. “

    Der Forums-Eintrag zeigt folgende Punkte sehr deutlich:
    – Der Umbau der Gleise für S21 wird als Ursache diskutiert.
    – Die Unfälle haben auf dem umgebauten Bereich stattgefunden.
    – Die „Überpufferung“ wird als Ursache vermutet.
    – und zwar nicht von Bahnexperten, aber von Augenzeugen, denen bereits vorher die starken Wagenbewegung auf diesem Abschnitt aufgefallen sind.
    – Als vermutliche Ursache werden hintererinanderliegende enge Gleisradien genannt.
    – Und als ausschlaggebend wird eine fehlende, ausreichen lange Zwischengerade genannt.
    Ähnliche Überlegungen muss die DB AG auch angestellt haben, ähnliche Beobachtungen sowieso. Außerdem ist das ein öffentliches Forum mit vielen Bahnmitarbeitern. Die DB AG hatte also frühzeitig Kenntnis vom Sicherheitsproblem.

  2. Das ist ausschließlich eine Sache für die Strafverfolgung. Da muß man nicht demonstrieren. Da muß man anzeigen.

      • Es ging nur darum , daß selbstverständlich versucht wird von der Dimension des Problems abzulenken. Dadurch, daß man irgendwas an den S21-Gegnern rumzukritisieren hat.
        Durch die Abfolge von Hopfenzitz-Zitat und Unglück ist dokumentiert, daß seit dem Umbau das EBA mit in der Verantwortung und seit dem ersten Unfall mit in Sch… ist.
        Seit dem zweiten Unfall ist die Unfalluntersuchungsbehörde ,EBU oder so, als Versager oder Vertuscher mit in der Verantwortung für die Personenschäden. Da gibt es einen strukturellen Mangel an Kontrollbehörden. Weder ausreichende Hierarchien noch ausreichender Abstand zwischen den Behörden. Ausgleichen müsste dies im Schadensfall das erhöhte Engagement der Strafverfolger. Die Bahn reklamiert zusammen mit ihrer AufsichtslolBehörde viele Sonderrechte . Scheinbar auch das Recht auf Körperverletzung.
        Beim Lärm kriegt die Bahn einen Teil dieser Sonderrechte jetzt gestrichen, aber erst 2016 damit aufende Projekte nicht gefährdet werden.
        Aus politischen Opportunitätsgründen werden Kontrollbehörden nicht kontrolliert und Strafverfolger nicht strafverfolgt.

  3. Es gibt eine ganz einfache Erklärung für die Entgleisungen, welche ich von einem Kunden habe, der Lokführer ist. Die Kurven sind extrem eng und schmal geworden, da ja Platz für die verlegten Bahnsteige gemacht werden muss. Die Lokführer bekommen eine Geschwindigkeit von 40 kmh angezeigt mit welchen sie in dem Bereich fahren sollten/dürfen. Dies ist nach Meinung meines KUnden doppelt zuviel, er fährt mit max 20 kmh ein. Er als erfahrener Lokführer kennt die Schwachstellen, ein etwas unerfahrener in diesem Bereich wird die 40 kmh fahren. Das ist des scheinbaren Rätsels Lösung, was natürlich von der Bahn so nie kommuniziert werden wird in der Öffentlichkeit.

  4. Ich fürchte auch es wird weiter mit Gewalt versucht werden die falsche Aussage „Alles Alte ist schlecht“ zu kommunizieren und so zu tun, als ob diese für den Umbau vorgenommene Änderung, die Entgleisungen hervorruft, teil des alten „maroden und ineffizienten“ Stuttgarter Kopfbahnhofs ist. Im besten Fall wird man zugeben, durch die Umbaumaßnahme eine gefährliche Situation herbeigeführt zu haben, die aber durch den „tollen neuen Bahnhof“ später dann sozusagen kompensiert wird.

    Ich verstehe nicht, warum man es in Deutschland so schwer ist zu sagen „Tut uns leid, wir haben uns geirrt, wir stellen ein sinnloses Projekt nun ein“.

    S21 ist ja nur eines von vielen Beispielen. Es wird ja auch weiter versucht eine Währungsunion – oder je nach Sichtweise auch einfach das Vermögen von Großanlegern – mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste aufrechtzuerhalten, die allen Beteiligten Nachteile bringt oder sie sogar ins Elend stürzt.

    Ich habe mich wohlgemerkt auch mal geärgert, warum ein Zug nach Stutgart reinfahren, dann dort ewig rumstehen und dann einen Teil der Strecke wieder rückwärts rausfahren muss. Aber wenn man sich mal informiert ist das noch besser als „Leistungsfähigkeit“ von S21 – und die steht nur auf dem Papier, das bekanntermaßen geduldig ist. Der vorhandene Bahnhof funktionierte vor den Baumaßnahmen wenigstens, soviel steht mal fest.

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