Unser Land braucht eine wohnungspolitische Offensive – jetzt!

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Mietertag Baden-Württemberg wählt Rolf Gaßmann wieder zum Landesvorsitzenden

160 Delegierte aus 35 Mietervereinen berieten über Wohnungspolitik

Anlässlich des Mietertages Baden-Württemberg 2024 kamen am 12. und 13. Juli 2024 die Delegierten aus den 35 baden-württembergischen Mietervereinen in Rust zusammen. Sie vertreten 160.000 Mieterhaushalte in Baden-Württemberg und fordern eine wohnungspolitische Offensive gegen den wachsenden Wohnungsmangel und gegen explodierende Mieten.

„Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Erhalt unserer Demokratie ist es unerlässlich, dass Wohnen bezahlbar ist“, erklärte Rolf Gaßmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbundes Baden-Württemberg, auf dem Mietertag. „Der Bau bezahlbarer Mietwohnungen muss eine zentrale Rolle in der Landespolitik spielen. Wirksame Maßnahmen zum Erhalt eines bezahlbaren Wohnungsbestandes und Reformen des Mietpreisrechtes durch den Bundestag sollten den Wohnungsneubau flankieren.“

Landesvorstand neu gewählt

Der Mietertag bestätigte Rolf Gaßmann, der auch Vorsitzender des Mietervereins Stuttgart ist, als Landesvorsitzenden. Als stellvertretender Vorsitzender wurde der Oberbürgermeister der Stadt Reutlingen, Thomas Keck bestätigt. Neu gewählt wurde die zweite Stellvertreterin Gaßmanns, Ruth Zöller, die Geschäftsführerin des Mietervereins Karlsruhe. Sie folgt auf Joachim Knöpfel, der nach 12 Jahren nicht mehr für den Vorstand kandidierte. Der Mietertag bestätigte außerdem Landeskassiererin Susanne Matt aus Esslingen und Landesschriftführer Winfried Kropp, den Vorsitzenden des Mieterbunds Konstanz, in ihren Ämtern.

Baden-Württemberg hat ein massives Wohnungsproblem

„Baden-Württemberg steckt tief in einer Wohnungskrise“, warnt Rolf Gaßmann. Die Schere zwischen Wohnungsangebot und Wohnungsnachfrage öffne sich immer weiter. Nach der Wohnungsbedarfsprognose des Prognos Instituts müssten jährlich mindestens 65.000 Wohnungen neu gebaut werden, damit das bestehende Wohnungsdefizit abgebaut werden kann. In den vergangenen fünf Jahren (2019 – 2023) wurden jedoch im Durchschnitt jährlich nur 35.580 Wohnungen neu gebaut. Steigende Baupreise, steigende Zinsen und Lieferengpässe haben den Wohnungsneubau zum Erliegen gebracht. Im Jahr 2023 wurde in Baden-Württemberg nur noch der Bau von 28.290 Wohnungen genehmigt – 13.846 Wohnungen (- 32,9 Prozent) weniger als im Jahr zuvor. Gaßmann warnt: „Wohnungen, die heute nicht genehmigt werden, können morgen nicht gebaut werden!“

Das vor kurzem veröffentlichte Ergebnis der Zensuserhebung 2022 zeigt deutlich: Baden-Württemberg wächst. Zum Stichtag (15. Mai 2022) wurden 11.104.731 Einwohnerinnen und Einwohner gezählt. Gegenüber der letzten Zensuserhebung 2011 bedeutet dies einen Bevölkerungszuwachs von 592.290 Personen (+5,6 Prozent). Allein im Jahr 2022 stieg die Einwohnerzahl um 155.615 Personen an und löste einen zusätzlichen Wohnungsbedarf von rund 70.000 Wohnungen aus. Jedoch wurden im gleichen Jahr nur 34.549 Wohnungen bezugsfertig.

Der wachsende Wohnungsmangel ist Hauptursache für die ungebremste Mieteninflation. Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes sind die Bestandsmieten im 2. Quartal 2024 um 4,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Im Durchschnitt lag der Quadratmetermietpreis in 2022 bei 10,18 Euro, in den Großstädten zwischen 13,50 Euro (Stuttgart) und 10,50 Euro (Mannheim). Die Angebotsmieten lagen noch deutlich höher. Für immer mehr Menschen ist es schwierig, eine Wohnung, geschweige denn eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die hohen Wohnkosten bringen immer mehr Haushalte in eine prekäre wirtschaftliche Situation.

Gaßmann: „Die Landesregierung, die weitgehend tatenlos der Entwicklung auf den Wohnungsmärkten zugesehen hat, muss endlich den Turbo für die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum zünden.“

Wohnraumförderung ist eine notwendige Zukunftsinvestition

Das Programmvolumen des Landeswohnbauförderprogramms ist viel zu gering. Zwar stieg das Fördervolumen von 250 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 580 Millionen Euro im Jahr 2024, aber dieser Zuwachs beruht allein auf der Erhöhung der Bundesmittel. Dass dieses Programm in keiner Weise der Wohnungsmarktsituation angemessen ist, zeigt sich daran, dass es bereits im Februar 2024 ausgeschöpft war. Förderanträge, die danach gestellt werden, können frühestens 2025 beschieden werden. Gaßmann: „Dies kam nicht überraschend. Wegen mangelnder finanzieller Ausstattung waren das Landeswohnungsprogramm 2022 schon im September des Jahres, das Programm 2023 im Mai ausgeschöpft. Gaßmann. Alle Forderungen nach einer Erhöhung der Landesmittel, die vom Verband der Wohnungsunternehmer, von der Bauwirtschaft, der Architektenkammer, der IBA, der IG Bau und dem Deutschen Mieterbund erhoben wurde, verhallten leider ungehört.“

Andere Bundesländer haben auf den großen Bedarf an Wohnbaufördermitteln reagiert. So hat beispielsweise Schleswig-Holstein bereits im Januar die Wohnbaufördermittel 2024 um 100 Millionen Euro erhöht. Anfang Juli hat NRW das Förderkontingent 2024 von 1,7 auf 2,7 Milliarden Euro erhöht.

Der Deutsche Mieterbund fordert, die Wohnbaufördermittel, die der Bund dem Land zur Verfügung stellt, müssen durch Landesmittel mindestens in gleicher Höhe zu ergänzt werden. Mit der Aufstockung des Landeswohnbauförderprogrammes 2024 auf mindestens 800 Mio. Euro könnten alle beantragten Sozialwohnungen ohne Verzögerung gebaut werden.

Die Erhöhung der Wohnbaufördermittel ist nicht nur für den Neubau dringend benötigter bezahlbarer Wohnungen, sondern auch für den Erhalt von Baukapazitäten und Arbeitsplätzen notwendig. Gaßmann: “Facharbeitskräfte im Bau, die jetzt entlassen werden, kommen nicht zurück und werden zukünftig fehlen.“ Die Wohnungswirtschaft ist neben der Automobilindustrie der bedeutende Wirtschaftsfaktor des Landes, der die Entwicklung unseres Bundeslandes bestimmt. Investitionen in den Wohnungsbau sind deshalb wichtige Zukunftsinvestitionen.

Weil die Bauwirtschaft am Boden liegt, könnte die Landesregierung auch von der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse in Art. 84 der Landesverfassung Gebrauch machen: „Bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung kann von der Schuldenbremse abgewichen werden.“ Gaßmann: „Die riesigen Auftragseinbrüche im Wohnungsbau sind weit mehr als ein Abweichen von der Normallage.“

Sozialen Wohnungsbau wiederbeleben

Der Sozialwohnungsbestand ist dramatisch auf nur noch rund 52.000 Sozialwohnungen zusammengeschmolzen. Weniger als ein Zehntel der berechtigten Haushalte kann tatsächlich eine Sozialwohnung beziehen. Laut der aktuellen Pestel-Studie hat Baden-Württemberg mit über 200.000 fehlenden Sozialwohnungen den größten Mangel unter allen Bundesländern zu verzeichnen.

Die von der Landesregierung verkündeten 2.600 neuen Sozialbindungen im Jahr 2023 stellen keine „Trendwende“ im geförderten Wohnungsbau dar. Es handelt sich allenfalls um einen Tropfen auf den heißen Stein, denn 2023 gingen auch 800 Sozialwohnungen durch den Ablauf der Sozialbindungen verloren. Zu berücksichtigen ist auch, dass in den 2.600 entstandenen Sozialwohnungen eine bislang nicht genannte Zahl von angekauften Belegungsbindungen enthalten ist. Solche Wohnungen sind aber in der Regel bereits vermietet und stehen deshalb nicht zum Abbau langer Wartelisten in den Wohnungsämtern zur Verfügung. Gaßmann: „Wir erinnern die Landesregierung daran, dass nach der Prognos-Wohnungsbedarfsanalyse zum Wiederaufbau eines ausreichenden Sozialwohnungsbestandes über viele Jahre jährlich mindestens 6.000 Sozialwohnungen neu gebaut werden müssen.“

Bezahlbare Mietwohnungen erhalten

Weil der Wohnungsneubau auf absehbare Zeit den Wohnungsmangel nicht beseitigen kann, muss bezahlbarer Mietwohnungsbestand erhalten werden. Jährlich gehen tausende bezahlbarer Mietwohnungen durch Umwandlung in Eigentumswohnungen verloren. In vielen Fällen werden Mieterinnen und Mieter durch Wohnungsumwandlungen verdrängt, weil die neuen Besitzer entweder Eigenbedarf geltend machen oder eine deutlich höhere Miete fordern, welche die finanzielle Leistungsfähigkeit vieler Mieterhaushalte überfordert.

Seit Anfang 2021 könnte die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter einen kommunalen Genehmigungsvorbehalt gestellt und damit gebremst werden, sofern eine Landesregierung die hierzu notwendige Rechtsverordnung erlässt. Gaßmann: „Unsere Landesregierung hat der Mieterverdrängung fast vier Jahre lang tatenlos zugesehen.“ Dabei habe das Beispiel Berlin verdeutlicht, dass der Umwandlungsvorbehalt tatsächlich Wirkung zeigt. In Berlin trat bereits 2021 eine entsprechende Landesverordnung in Kraft, die es verbietet, Mietwohnungen ohne kommunale Genehmigung in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Im Jahr 2022 zeigte diese Verordnung erstmals die volle Wirkung: Die Zahl der Wohnungsumwandlungen sank um 40 Prozent. Weil die Regelung (§ 250 Baugesetzbuch) bis Ende 2025 befristet ist, fordert der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg die Landesregierung auf, sich für deren zeitliche Verlängerung einzusetzen und umgehend die zum Schutz der Mieterinnen und Mieter notwendige Verordnung zu erlassen. Gleichzeitig sollte die Kündigungssperrfrist bei Wohnungsumwandlungen von fünf auf zehn Jahre verlängert werden.

Nach der Zensuserhebung 2022 standen 236.214 Wohnungen in Baden-Württemberg leer. Dies sind 4,3 Prozent des Wohnungsbestandes und deutlich mehr als die sechsfache jährliche Neubauleistung im Land. In einer Zeit, in der immer mehr Haushalte kein bezahlbares Dach über dem Kopf finden können, ist es nicht hinnehmbar, bestehenden Wohnraum den Wohnungsmärkten zu entziehen. Weil Appelle und Anreize nicht zur Aktivierung des leerstehenden Wohnungsbestandes führen, fordert der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg Städte und Gemeinden mit Wohnraummangel auf, Satzungen zum Verbot der Wohnraumzweckentfremdung zu erlassen und ausreichend Personal vorzuhalten, um die Zweckentfremdung von Wohnraum beenden zu können.

Mietpreise stabilisieren

Gleichzeitig mit einer Wohnbauoffensive in Baden-Württemberg fordert der Mieterbund auf Bundesebene eine Reform des Mietpreisrechts. Die Mietpreisspirale hat seit 2023 vor dem Hintergrund der Wohnungskrise noch mehr an Dynamik gewonnen. Der Gesetzgeber muss endlich effektive gesetzliche Regelungen zur Mietpreisstabilisierung beschließen.

Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg fordert die FDP auf, die Blockade notwendiger mietrechtlicher Reformen aufzugeben und zumindest die Umsetzung der im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbarten Reformen zeitnah zu ermöglichen:

Die Mietpreisbremse muss bis zum Jahr 2029, ohne die inzwischen bekannt gewordenen geplanten Verschlechterungen zu Lasten der Mietenden, verlängert werden. Der Umgehung der Mietpreisbremse durch möblierte Wohnungsangebote sollte ein Riegel vorgeschoben werden, indem Nettomiete und Möblierungszuschlag im Mietvertrag getrennt ausgewiesen werden.

Mietpreisüberhöhungen und Mietwucher müssen durch eine Reform des Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz wieder verhindert werden können.

Die Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen im Bestand müssen abgesenkt werden. Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen müssen dauerhaft begrenzt werden.

Die Datenbasis der Mietspiegelerstellung muss auf alle erhobenen Mietpreise erweitert werden.

Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg ruft außerdem Städte und Gemeinden auf, die geforderten Mietpreise in ihrem Zuständigkeitsbereich zu überwachen und Mietpreisüberhöhungen zu verfolgen. Gaßmann: „Die Beispiele aus Freiburg, Stuttgart, Esslingen und Frankfurt zeigen, dass es wirksame kommunale Handlungsoptionen zur Mietpreisstabilisierung gibt.“

Der neu gewählte Landesvorstand (v.l.n.r.): Dr. Melanie Weber-Moritz (DMB-Bundesdirektorin), Winfried Kropp (Konstanz), Susanne Matt (Esslingen), Ruth Zöller (Karlsruhe), Rolf Gaßmann (Stuttgart), Thomas Keck (Reutlingen), Lukas Siebenkotten (DMB Präsident)