Warum der Protest gegen Stuttgart21 weiter gehen muss?

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Landtagswahl, Schlichtungsrunde und Volksabstimmung. Man könnte meinen, das Vorhaben S21 sei nun in trockenen Tüchern. Statt dessen sammeln sich in Stuttgart dieser Tage trotzdem noch hunderte Bürger und protestieren, als wenn nix gewesen wäre. Und ganz Deutschland fragt sich genervt: “Was solln das jetzt noch? Die Abstimmung haben sie verloren und nun muss auch mal gut sein!”. Man könnte als unbedarfter externer Beobachter zu der Erkenntnis gelangen, die Schlichtung habe den notwendigen, sandigen Konsens über den Neubau gebracht und die Volksabstimmung den demokratischen Stempel  unter dessen Ergebnis gesetzt.
 
Um die Frage zu beantworten, warum der Protest trotz Allem immer noch legitim ist, muss man ein gutes Stück zurück gehen, recht genau ein Jahr. Am 19.3.2011 fand auf dem Schlossplatz in Stuttgart eine Großdemonstration statt. 8 Tage vor der Landtagswahl und dem historischen Wahlsieg der Grünen Partei Deutschlands, aus der der erste grüne Ministerpräsident hervor ging. Auf dieser Kundgebung hat Volker Lösch seine berühmte ‘60 Lügen in 10 Minuten’ Rede gehalten, die schriftlich auch bei Bei Abriss Aufstand dokumentiert ist.
 
 
Wenn man sich all diese 60 Punkte an Kritik zu S21 von vor einem Jahr vor Augen führt, mit der heutigen Situation vergleicht und die Differenz von abgehakten und noch offenen Punkten bildet, was bleibt dann noch an Kritikpunkten übrig? Alle! Die Rede könnte heute, ein gutes Jahr später, nocheinmal so gehalten werden. Es hat sich seit dem nichts geändert an dem Vorhaben der Bahn. Außer einem völlig witzlosen Bauzaun um die sog. Juchtenkäferbäume herum, ist es heute noch haargenau das S21 was wir aus 2010 kennen. Und selbst zu dem Zaun musste die Bahn letztlich gerichtlich gezwungen werden. Der gesunde Menschenverstand gebietet es, an diesem Punkt skeptisch zu werden. Vorallem weil auch nach der bereits genehmigten ersten Erhöhung der Fördermenge der Grundwassermanipulationsanlage die Fördermenge nach Bahn Angaben immer noch nicht ausreicht und eine weitere, zusätzliche Erhöhung im Raum steht.
 
Und es ist der Punkt, an dem die Stuttgarter Grünen ihr Pfründchen zu tragen haben. Die Wahl Kretschmanns war eine Zäsur im Ländle. Etwas historisches nach 60 Jahren dunkel schwarzer Politik. Neben Fukushima und dem EnBW Deal war das Thema S21 der Grund, weswegen die Grünen gewählt wurden. Wahlergebnisse spiegeln den politischen Willen der Bevölkerung wieder. Wenn eine Wahl zu einem Regierungswechsel führt, ist das Ausdruck dieses Willens. Wenn eine Partei nicht alleine eine Regierung stellen kann, sucht sie sich Partner. Und der stärkere Teil dieses Bündnisses stellt den Ministerpräsidenten. In diesem Fall die Grünen mit Winfried Kretschmann. Es ist richtig, das die Grünen nur einen Hauch mehr Stimmen bekommen haben als die SPD. Es stimmt auch das in Summe die so genannten Tunnelparteien die Mehrheit stellen. Es ist aber vor Allem auch richtig, dass das Ergebnis der LTW zu einem Grünen Ministerpräsidenten geführt hat, was ohne den dazu notwendigen Willen der Bevölkerung nicht möglich gewesen wäre.
 
Die Grünen haben nun also seit einem guten Jahr einen Landesfürsten. Und wir haben diese Aufstellung der Punkte aus der Rede von Volker Lösch von vor einem Jahr. Was fällt auf? Es ist im derzeitigem Zustand des Projektes nichts erkennbar, was irgendwie einen grünen Anstrich hätte. Das Einzige was wirklich fest steht ist, dass das Land nicht aus der Finanzierung des Vorhabens21 aus steigt. Und die Erfahrung aus vergangenen Großbaustellen sagt dem mündigem Bürger: Selbst daran werden sie noch nen Weg vorbei finden.
 
Was fehlt ist eine klare Erkennbarkeit der Grünen in der Regierung. Statt nach dem Wechsel von CDUFDP zu GRÜNESPD eine Veränderung in der Wahrnehmung der Baden Württembergischen Regierung fest zu stellen, sieht man heute nur einen Ministerpräsidenten der zum Neutrum geworden ist. Statt den Auftrag derer zu erfüllen, die ihn ins Amt gehoben haben, erleben wir einen Politiker, der sich auf ein unbestimmtes ‘Interesse aller Bürger’ beruft. Abgeleitet aus der Verantwortung über alle Bürger im Land, ob Grünenwähler oder nicht.
 
Wenn das Ergebnis von Landtagswahlen eine Regierung ist, die für sich nach der Wahl interpretiert, was das Gesamtwohl der Bevölkerung ist, dann brauchen wir keine Wahlen mehr. Dann ist es völlig belanglos, ob eine Regierung grün, schwarz, oder lila-violet gepunktet ist. Dann entsteht nämlich genau die graue Politiksauce, die maßgeblich an Politikerverdrossenheit beteiligt ist. Natürlich ist dies hier nicht der Aufruf an Kretschmann, in das gleiche Muster zu verfallen mit dem die CDU unter Mappus regiert hat. Ein Ministerpräsident hat das Gemeinwohl zu berücksichtigen. Er darf sein Handeln aber nicht völlig losgelöst von den eigenen Wählern auskleiden.
 
Und damit schließt sich der Kreis zu der Frage, ob und warum der Protest gegen Stuttgart21 weit gehen muss. Die Antwort lautet:
 
Ja, weil es gute Argumente gegen Stuttgart21 gibt. 60 davon kann man sich von Volker Lösch vor lesen lassen.
 
 
weitere Reden, diesmal von der Demonstration am 18.2.2012


2 Kommentare

  1. Wie verwirrt der Autor/die Autorin ist, zeigt dieser Satz: „Das Einzige was wirklich fest steht ist, dass das Land nicht aus der Finanzierung des Vorhabens21 aus steigt. Und die Erfahrung aus vergangenen Großbaustellen sagt dem mündigem Bürger: Selbst daran werden sie noch nen Weg vorbei finden.“
    Im Sinne der S21-Gegner wäre das ja vielleicht ein Ziel, aber das ist sicher nicht gemeint.
    Volker Löschs „60 Lügen“ ist weitgehend heute noch zutreffend, doch hat das leider nicht dazu geführt, dass bei der Volksabstimmung eine Mehrheit gegen das Projekt gestimmt hätte. Nicht die Regierung muss sich hier ein anderes Volk suchen, sondern diejenigen, die immer noch glauben, S21 verhindern zu können. Das wird nur die DB AG oder Merkel schaffen, wenn sie sich eingestehen, dass der Kostenrahmen von 4,5 Mrd. eine Illusion ist. Das aber werden sie jetzt nicht tun, sondern schon viel Geld verplempern, um Fakten zu schaffen. Das Land kann leider dabei nur zuschauen, denn die Vorgängerregierungen haben die Verträge so geschlossen, dass man praktisch nicht herauskommt.

    • Moin uj,
      Verwirrend ist es alles, stimmt. Und ich kann auch ein wenig nach vollziehen, das die Zeilen verwirrt klingen. Es ist aber auch alles verwirrend, wenn nicht sogar verworren. Welche Verwirrtheit hier gemeint war, erschließt sich mir aber noch nicht.

      Die Wahn und die CDU werden schon alleine wegen der Matschwüste im Park alles daran setzen, das Vorhaben durch zu ziehen. Wie ich an anderer Stelle schrieb, eine ’nur so da‘ Baugrube wirds nicht geben. Aber ist das ein Grund, deswegen man die Augen vor den ganzen Punkten von Lösch zu verschließen?

      Du bestätigst ja, das die eigentlich alle noch Bestand haben. Das Land kann nicht zu schauen, wenn beispielsweise durch die Neigung der Bahnsteige ein Gefahrenpotential entsteht oder der Bahnhof nicht Behinderten gerecht ist. Da gibt es Gesetze zu an die sich gehalten werden muss und die eine Volksabstimmung Gott sei dank nicht aushebeln kann.

      Und vor Allem wäre es die Pflicht der Regierung, den politischen Konsens Schlichterspruch durch zu setzen. Den haben die Gegner schon mit nem dickem Klos im Hals zu gestimmt. Und nun werden V-Bäume trotzdem gefällt. Und mal ehrlich, der vom Gericht verordnete Juchtenkäferschutzzaun mit Unterkrabbelschutz ist ne Farce für sich, guckt man sich die über gebliebene Juchtenkäferinsel an. Die Population, die ja vom Gericht als schützenswert anerkannt wurde, ist zum Niedergang verdammt. Juristisch vermutlich wieder wasserdicht, aber an Absurdität schwer zu überbieten.

      Gibt also noch genug Gründe die Bauträger zu treiben. Ich hab von dir auch nichts gehört, warum man es nicht tun sollte, außer einem ‚hat doch eh kein Sinn‘.

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