Zündelnde „Opfer“

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Demoplakat auf der PEGIDA-Gegendemo im Mai 2015
Demoplakat auf der PEGIDA-Gegendemo im Mai 2015
Demoplakat auf der PEGIDA-Gegendemo im Mai 2015

„Widerstand ist Pflicht“ nennen die Bildungsplangegner das Motto für ihre kommende „Demo für alle“, die am 21. Juni in Stuttgart stattfinden soll. „Widerstand ist Pflicht“ lehnt sich an den bekannten Ausspruch „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ und impliziert, dass in Baden-Württemberg mit dem neuen Bildungsplan, der Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen auch in Schulen und in den Lehrplänen beseitigen möchte, Unrecht geschehen würde.

Der Täter als Opfer

Mit dieser anmaßenden Haltung stilisieren sich die Bildungsplangegner zu Opfern. Zu Opfern von Unrecht, zu Opfern von Staatsgewalt, zu Opfern einer Politik, die unrecht handelt. Dabei verrät der Slogan dieser „Bewegung“ sofort, dass es ihr überhaupt nicht um Recht und Gesetz geht, sondern einzig und allein um die Durchsetzung bzw. Bewahrung eines rückwärtsgewandten und klar diskriminierenden Welt- und Familienbilds. „Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“. Es geht ihnen um den Vorrang ihres eigenen Weltbilds vor anderen, ebenso berechtigten Lebensentwürfen. Was als Sorge um „unsere Kinder“ daher kommt, entpuppt sich als irrationale, wirre Angst vor Andersartigkeit und oft genug auch als kranke Phantasie so mancher Teilnehmer. „Keine Dildos und Pornos im Unterricht“ kann man auf Plakaten dort lesen, so als ob geschlechtliche Vielfalt irgendetwas mit Sexualpraktiken oder sexuellen Vorlieben zu tun hätte.

Es sind vor allem arrivierte Eltern und Großeltern, die diese Demos dominieren, gerne auch mit für ihre Zwecke instrumentalisierten Kleinkindern in schicken Kinderwägen oder Kindern, die an der elterlichen Hand durch die feindlichen Straßen der bunten Großstadt begleitet werden. Jugendliche oder junge Erwachsene sieht man dort so gut wie nicht. Die stehen auf der anderen Seite der Polizeikette und rebellieren gegen diese Engstirnigkeit und diesen Reaktionismus.

Der Neonazi als Jude

Nicht nur die offen propagierte inhaltliche Nähe zur AfD rückt diese Bewegung in allernächste Nähe zu PEGIDA, die sich Mitte Mai ein Stelldichein in Stuttgart gab. Auch die Stilisierung zum Opfer eint beide Bewegungen. In einem intensiv kommentierten Bericht* eines Teilnehmers der PEGIDA-Kundgebung, die von Tausenden Gegendemonstranten umkreist war, kann man lesen: „SA und SS und faschistisch verhetzte ‚normale‘ Deutsche dürften in einer gleichartigen oder vielleicht sogar etwas schwächeren Pogromstimmung gewesen sein, wenn sie Juden gehetzt und verfolgt haben. Der Unterschied zu damals ist klar: heute schützt uns dankenswerterweise die Polizei. Damals konnten die Hasserfüllten ihren Hass ausleben. (…) Die 1920er Jahre sind zurück. Die heutige SA ist bunt, links, jung – und blöd wie damals auch. Argumente interessieren sie nicht. Sie haben einen Sündenbock gefunden, der eliminiert werden muss, und der heißt PEGIDA und sie nennen jeden bei PEGIDA ‚Nazi‘, auch wenn ausdrücklich das Gegenteil richtig ist.

Diese Verkehrung der Umstände ist phänomenal! Glatzköpfige, mit Hakenkreuz tätowierte PEGIDA-Anhänger setzen den berechtigten Protest gegen ihre xenophoben und ausländerfeindlichen Ansichten mit der Judenverfolgung während der Nazizeit gleich! Das muss man erst einmal gedanklich hinbekommen! Offenkundig wird diese irre Angst im letzten Satz des Berichts: „Deutschland schafft sich ab. Wir sind schon mitten drin in diesem Prozess. Es wird böse enden – in einer Herrschaft des Islam.

Eine Bloggerin, die auf Twitter sehr aktiv für PEGIDA wirbt und gegen NOPEGIDA hetzt, treibt diese Verkehrung auf die Spitze. Unter dem Titel „Wieder Faschismus in Deutschland“ schreibt sie auf ihrem Blog*: „Tagtäglich werden Deutsche von Muslimen überfallen, ausgeraubt und getötet. (…) Mittlerweile sind wir so weit, dass es jeden Deutschen in jeder deutschen Stadt treffen kann. Er muss einfach nur Deutscher sein oder ein Ungläubiger. Muslime verabreden sich zu ihrem Mord an Deutschen. Ihr Motiv ist primitiv, abartig und barbarisch. Sie wollen einfach nur töten. So wie Jack the Ripper, Nazis, Pol Pot oder Mao. (…) Solche Wahnsinnigen bevölkern momentan ganz Deutschland und der deutsche Staat beschützt seine Bürger nicht davor.“ Und weiter: „So wie damals die Juden in Deutschland von den Nazis gejagt und totgetreten wurden, exakt und genauso handeln jetzt die Muslime in Deutschland gegen die Deutschen und werden genauso wenig von der Justiz verfolgt und verurteilt wie die Nazis damals. Der Faschismus hat wieder Einzug gehalten in Deutschland. Diesmal gegen die Deutschen.“ Die PEGDIA-Anhänger suhlen sich in ihrer Opferrolle: sie werden angeblich nicht nur von den lauten Gegendemonstranten verfolgt und von den die Wahrheit verdrehenden Medien, sondern zusätzlich noch von den in Deutschland lebenden Muslimen. Bei diesem jeglicher Realität entbehrenden Stuss verschlägt es einem die Sprache!

Wenn man diese kranken Zeilen (leider sind es nicht nur Zeilen, sondern nahezu tägliche Blogbeiträge voller fremdenfeindlicher, menschenverachtender Hetze) liest, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass wahrscheinlich nicht nur Opfer und Täter, sondern alles umgedreht gedacht und invers verstanden werden muss. Der Satz „Solche Wahnsinnigen bevölkern momentan ganz Deutschland“ bekommt dann plötzlich einen ganz neuen Sinn. Und in der Tat sind wir mit PEGIDA und den Bildungsplangegnern aktuell von pathologischen Verfolgungswahnsinnigen umgeben, die sich zu Opfern stilisieren, obwohl genau sie es sind, die gefährlich zündeln!

Umso wichtiger ist es, dass sowohl den Bildungsplangegnern als auch den PEGIDA-Anhängern gezeigt wird, dass sie nicht etwa für eine ominöse schweigende Mehrheit sprechen, sondern dass die Mehrheit eine andere Meinung vertritt!

 

15.06.2015 / Zwuckelmann

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