Zum 100-jährigen Jubiläum des Stuttgarter Hauptbahnhofes

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Landespavillon / HBF Turm / Wobinwood Baumhaus / Robin Wood Hängematte v.R.n.L

Am 22. Ooktober 1922 wurde der heutige Stuttgarter Hauptbahnhof in Betrieb genommen. Anlässlich dieses Jubiläums veröffentlichen wir einen Rückblick

„In Stuttgart wurde die Diskussion um die Standorte des ersten, des zweiten und des dritten, heutigen Hauptbahnhofs von Regierung, Parlament und Bevölkerung jahrelang leidenschaftlich und engagiert geführt.

Dies hat Anhänglichkeiten zwischen der Stuttgarter Bevölkerung und ihrer jeweiligen Central- und Hauptstation und deren Personal geschaffen wie kaum in einer anderen Stadt“, so Egon Hopfenzitz, ehemaliger Leiter des Stuttgarter Hauptbahnhofes im Jahr 1987 anlässlich des 65. Jubiläums.

Die „Anhänglichkeiten“, wie er sie nannte, bestehen auch heute noch. Ist der Bahnhof mit seinem Bonatzbau und dem markanten Turm mit Mercedes-Stern für „Neigschmeckte“ und Reisende einfach nur ein funktionales Gebäude, identifizieren sich die Bürger auch weit über die Stadtgrenzen hinaus oft mit ihrem Bahnhof.

Mit der Tradition, dass Politik und Bevölkerung sich über einen neuen Bahnhof ausführlich informieren und austauschen, wurde in den 1990er Jahren gebrochen.  Stuttgart21 wurde im Jahr 1994 auf einer Pressekonferenz vorgestellt und 1995 wurde bereits die Finanzierungsvereinbarung geschlossen. Doch dazu später mehr.

Der erste Stuttgarter Centralbahnof wurde am 12. September 1846, am 65. Geburtstag von König Wilhelm I von Württemberg, an der Schloßstraße, der heutigen Bolzstraße, eingeweiht. Erbaut wurde er von Karl Etzel. Zuletzt war in diesem Gebäude u.A. ein Kino untergebracht. Bereits dieser erste Bahnhof war aufgrund der Topografie ein Kopfbahnhof, dessen Linien nach Esslingen und Ludwigsburg führten.

Bereits 20 Jahre später war ein Erweiterungsbau notwendig, da die Kapazitäten mehr als ausgeschöpft waren. Georg Morlock kopierte den alten Bahnhof, der damals noch Drehtscheiben enthielt, da Dampflokomotiven noch keinen „Rückwärtsgang“ hatten, und ließ ihn direkt daneben als Ergänzungsbahnhof bauen.

Noch vor der Jahrhundertwende wurde auch dieser Bahnhof zu klein. König Wilhelm II entschied im Jahr 1907, einen neuen Bahnhof am heutigen Arnulf-Klett-Platz bauen zu lassen. Auch dieser sollte ein Kopfbahnhof werden, da 95% aller Reisen in Stuttgart endeten oder begannen.

Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer gewannen die Ausschreibung mit ihrem Entwurf „umbilicus sueviae“ (der Nabel Schwabens).

Ursprünglich sollte markante Bahnhofsturm mittig, links neben dem Haupteingang, stehen und wesentlich mächtiger, dafür nicht ganz so hoch werden.

In einer zweiten Überarbeitung entstand der Eingang zur kleinen Schalterhallte und der Turm wurde nach rechts geschoben, um die Königstraße abzuschließen.

Chef des Hochbauamtes war seinerzeit Oberbaudirektor Neuffer, ein großer Fan und Fürsprecher von Bonatz. Als dieser ihm den neuen Entwurf vorstellte, war er gar nicht begeistert und kommentierte dies mit den Worten „’s wird immer wüschter, aber ’s passt zum andre. Meinetwege, machet Sie’s“.

Da in diesen Jahren noch Dampflokomotiven fuhren, die entsprechend viel Ruß verursachten, waren alle Bahnhöfe mit sehr hohen Hallendächern gebaut. Bonatz bediente sich des Tricks des Darmstädter Bahnhofs und versah das Hallendach, das Fahrgäste vor Regen und Sonne schützte, mit Rauchschlitzen über jedem Gleis. So konnte der Qualm abziehen.

1914 wurde mit den Arbeiten am Empfangsgebäude begonnen. Durch den ersten Weltkrieg mussten die Arbeiten immer wieder eingestellt werden.

In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 1922 wurde der erste Bauteil mit den Gleisen 9 bis 16 in Betrieb genommen und am 1. November 1922, nach 8 Jahren Bauzeit, wurde der Stuttgarter Bahnhof offiziell dem Verkehr übergeben. Bis 1928 wurden das Reichsbahnhotel und der Posttrakt (Nordflügel) erbaut.

Die Gleise 1-4 wurden schließlich 1927 fertig gestellt. Bis dahin nahm Bonatz immer wieder Veränderungen an der Ausführung vor, um zu vereinfachen.

Im zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof schwer beschädigt: das Dach ist schwer beschädigt und die meisten Fenster mussten notverglast werden.  In den letzten Kriegstagen wurden die meisten Bahnbrücken gesprengt, wodurch der Bahnhof praktisch nicht mehr nutzbar war.

Der Wiederaufbau war 1960 abgeschlossen. Vieles hatte sich verändert. Die Holzdecke wurde durch eine Glas-Stahl-Konstruktion ersetzt, da Holz knapp war und zum Heizen gebraucht wurde.

Aber auch die Autostadt Stuttgart kennzeichnet den Hauptbahnhof. Am Nordausgang des Bahnhofes wurde in den 1970er Jahren ein großzügiger Kurzzeitparkplatz errichtet, als Ergänzung zur 116 Plätze umfassenden Tiefgarage unter Gleis 2 und 3.

Bereits 1952 wurde der erste Mercedes-Stern auf dem 56 Meter hohen Bahnhofsturm installiert. Dies geschah allerdings aus der Not heraus. Der Bahnhofsturm wurde im Krieg schwer beschädigt, die Kosten für die Reparatur wurden auf eine halbe Million DM geschätzt. Friedrich Bauer, der damalige Inhaber des Reisebüros im Hauptbahnhof, schlug vor, den Turm für Werbezwecke freizugeben und mit den Einnahmen den Wiederaufbau zu finanzieren.

Die Diskussion hierüber wurde kontrovers geführt. Kritiker befürchteten sowohl eine Ablenkung der Verkehrsteilnehmer als auch eine Überhandnahme an Reklame. Die Debatte wurde leidenschaftlich geführt, auch gemeinsam mit dem damaligen Oberbürgermeister Arnulf Klett. Der Kompromiss bestand aus dem sich auf dem Turm drehenden Stern.

1976 wurde die Klett-Passage und die unterirdische Straßenbahn in Betrieb genommen. 1978 erfolgte die Inbetriebnahme der S-Bahn.

Diese beiden Ereignisse veränderten die Verkehrsbedingungen erheblich. Nicht nur für den Anschluss- und Nahverkehr eröffneten sich völlig neue Möglichkeiten – auch die Flächen konnten neu vermarktet werden: sowohl die neue Klett-Passage, als auch die Verkaufsflächen im Hauptbahnhof (oben) waren lukrative Flächen für Restaurants, Souvenir- und Blumenläden, aber auch für Geschäfte des täglichen und Reisebedarfs. Nicht fehlen durften seinerzeit ein großzügiges Postamt und die Commerzbank, bevor diese Räumlichkeiten einige Jahre später Fast-Food-Ketten weichen mussten.

1986 richtete die Buchhandlung Wittwer, ein alteingesessenes Stuttgarter Unternehmen, sich mit 300 Quadratmetern im „Treffpunkt Buch“ ein. Neben Büchern führte die Verkaufsstelle weit über 2000 verschiedene nationale und internationale Zeitungen und Zeitschriften.

1994 stellen schließlich Bahnchef Heinz Dürr, Ministerpräsident Erwin Teufel, Oberbürgermeister Manfred Rommel sowie die Verkehrsminister Matthias Wissmann (Bund) und Hermann Schaufler (Land) das Projekt auf einer Pressekonferenz „Stuttgart21“ offiziell vor. Die Kapazitäten und die Leistungsfähigkeit sind zwar bei Weitem nicht ausgeschöpft – allerdings möchte die Stadt Stuttgart die Flächen ganz im Sinne des Zeitgeistes vermarkten.

In den Jahren zuvor wurden die Deutsche Bundespost, Energiedienstleister und das Gesundheitswesen privatisiert. Diesem Trend möchte auch Stuttgart in nichts nachstehen und das Tafelsilber verscheuern.

Die Gleisflächen rauben Bauplatz. Ein unterirdischer Bahnhof würde viel Land freigeben, das sich vermarkten lässt. So schließen Bund, Land, Stadt, Regionalverband und Deutsche Bahn AG eine Rahmenvereinbarung zur Entwicklung und Förderung des Projekts, dessen Inbetriebnahme für 2008 geplant ist.

Wie bereits oben angemerkt wurde mit der Tradition gebrochen, die Stuttgarter frühzeitig intensiv in die Planungen einzubeziehen, weshalb sich bei Baubeginn viele nicht mit dem Projekt identifizieren konnten.

Den Bahnhof von 16 auf 8 Gleise zu verkleinern; den Mittleren Schlossgarten mit seinen über 300, teilweise über 100 Jahre alten, Bäumen abzuholzen, für einen Preis von mit Sicherheit über 10.000.000.000 (10 Milliarden) Euro, erschien nicht wenigen Stuttgartern als unverhältnismäßig.

Selbst Rüdiger Grube muss einige Jahre nach Baustart zugeben, dass dieses Projekt unsinnig ist.

Kein Wunder, dass es keine offiziellen Feierlichkeiten anlässlich des 100jährigen Bestehens des Bahnhofes gibt.

Stadt, Land und Bahn ist es möglicherweise zwischenzeitlich peinlich, diesen geschichtsträchtigen Bahnhof einer Wahnidee, gemischt aus Kapitalismus und Geltungsdrang, geopfert zu haben.

An dieser Stelle wollen wir gerne die folgenden Artikel querverlinken:

Letzter Aufruf für einen schönen Bahnhof (New York Times, 2009)

Die Chronologie der Pannen

Impressionen der verbliebenen Reste des HBF im Jahr 2022

 

Text – stefan1531
Fotografien – lob_sww