Ein Kommentar von Zwuckelmann
Veröffentlicht am 31. Januar 2014von zwuckelmann
Endlich! mag sich manch ein Befürworter des Immobilienprojekts Stuttgart 21 gedacht haben, als das Urteil des VGH die montäglichen Demonstrationen auf der Schillerstraße verboten hat. Endlich sind sie weg, vertrieben unter lautem Getöse der Stuttgarter Qualitätsmedien. Weg die lästigen Demonstranten, das linke Pack, die DKP-Anhänger, die ewiggestrigen Nörgler und Zukunftsverweigerer, die Autonomen und Kapitalismuskritiker von der Halbhöhenlage. Endlich gibt es – zumindest theoretisch – wieder freie Fahrt für freie Bürger Montags zwischen 18 und 19 Uhr! Schließlich ist Stuttgart eine Autostadt! Die Straßen sind für Autos da, nicht für Demonstranten! Da geht’s ums Prinzip! Endlich also wieder alles in Butter.
…
Keine zwei Wochen später: Was müssen wir da in denselben Qualitätsmedien lesen? Auf der Schillerstraße eingeschränkter Verkehr wegen Stuttgart 21? Rückstaus in alle Himmelsrichtungen rund um den Gebard-Müller-Platz? Ja, wie das jetzt? Betrifft Stuttgart 21 etwa auch die Autofahrer der Autostadt Stuttgart und nicht nur die Fußgänger, die S- und U-Bahnfahrer? Es geht doch um einen Tunnelbahnhof, wieso sollte dieser den oberirdischen Autoverkehr beeinträchtigen? Skandal!!! Die Bahn hat doch immer gesagt, dass der Bau von Stuttgart 21 unter rollendem Rad geschieht und dadurch so gut wie gar nicht stören wird. Sie hat doch Pläne vorgelegt, wo Abwasserkanäle und der Nesenbachdüker bergmännisch verlegt werden, also quasi wie von Maulwürfen unsichtbar für uns alle gegraben und gebaut. Und das will die Bahn jetzt ändern und damit den Verkehr beeinträchtigen? Das geht ja mal gar nicht!
Wir lassen ja über vieles mit uns reden. Gut, doppelt so viel Wasser abzupumpen als ursprünglich geplant, das merken wir ja nicht, und ob die Bäume nun wegen Wassermangels oder wegen des Klimawandels kaputt gehen, wer kann das schon beurteilen. Gut, wesentlich mehr Rammpfähle einzubringen als ursprünglich geplant, damit der Bahnhofstrog nicht aufgeschwemmt wird, auch davon kriegen wir sicher nichts mit außer vielleicht ein paar mehr Vibrationen. Opfer müssen wir alle bringen. Deshalb seid auch mal nicht so streng mit den Brandschutzvorschriften! Übertreiben müssen wir ja wirklich nicht! Und auch gut, wenn die Bahn sparen kann, denn das ist eh schon alles teuer genug. Also lasst sie doch das H7, die alte Bahndirektion, komplett abreißen, das alte Gelomb! Später bauen wir was schön modernes mit viel Glas und Sichtbeton dort hin – passt eh viel besser zur anderen Straßenseite.
Aber den Autoverkehr behindern? Nein, das geht gar nicht! Wir fordern die Bahn auf, unverzüglich nachzubessern! Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, den Nesenbachdüker auch auf bzw. unter den Marktplatz zu verlegen, dann bliebe die Schillerstraße für den Autoverkehr weiterhin frei. Am Marktplatz kann man dann in offener Bauweise buddeln, denn da gibt es keinen Autoverkehr. In die offene Baugrube könnte man dann auch gleich die Montagsdemos verlegen, dann würden die vielen lästigen Demonstranten schon nicht so auffallen. Und man würde ihr Gebruddel vor lauter Gebuddel nicht mehr so hören von wegen der Risiken zum Grund- und Mineralwasser, wegen Hangrutschungen, wegen des großen Risikos beim Bau des Nesenbachdükers, wegen der Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs, wegen der Brandschutzgeschichte, wegen des Risikos bei der Untertunnelung für das H7.
Die Demonstranten sollen doch endlich auch einmal die Wahrheit zur Kenntnis nehmen: Stuttgart 21 ist und bleibt das bestgeplante Projekt!!! Und wenn es nicht um Wahrheit geht, dann geht’s um Mehrheit! Und die Volksabstimmung hat gezeigt, dass ganz Baden-Württemberg Stuttgart 21 will! Und wo Wahrheit und Mehrheit zusammen fallen, gibt’s nix mehr zu rütteln! Die Politiker sind daran gebunden, Stuttgart 21 ist alternativlos und unumkehrbar! Und die paar Planänderungen, die die Bahn beantragt hat, kriegen unsere Ingenieure schon in den Griff! So auch die bergmännische Verlegung des Nesenbachdükers! Vielleicht kostet’s dann ein bissle mehr, aber ich bitte Sie, wir leben doch in Stuttgart, dem Epizentrum der deutschen Ingenieurskunst! Die Schmach, etwas technisch Machbares nicht zu machen, darf’s hier doch nicht geben. Kosten sind da nicht so wichtig. Und weil das so ist und weil wir in der Autostadt schlechthin leben, lasst bitte wenigstens die Autofahrer in Ruhe, die haben schon genug Enttäuschungen mit dem ADAC und genug Ärger mit den täglichen Staus! Die Schillerstraße muss frei bleiben …
Weiter fahren! (wenn’s grad geht)
„So auch die bergmännische Verlegung des Nesenbachdükers!“
Lieber Zwuckelmann! Bei einer bergmännischen Verlegung des Nesenbachdükers fürchten die Ratten wohl im eigenen Bau zu ersaufen. Daher gibt es eine Änderung durch die Bahn ins tagmännische: „Nunmehr“ so die StZ, „will die Bahn den Kanal in offener Bauweise betonieren und dabei die Baugrube seitlich abdichten.“ l.c. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-erlaubnis-fuer-bau-des-duekers-nicht-in-sicht-page1.c57bbf3d-32c6-42fd-9d49-adaee8c072b4.html
Aber jetzt kommt´s: “ Durch die angestrebte Verkürzung des Kanals und die veränderte Bauweise könnten großflächige Eingriffe in die sogenannten Kernzone der Mineralwasser führenden Schichten vermieden werden, argumentiert die Bahn.“ lc. StZ s. o.
Genau, der Düker liegt jetzt nähmlich wie dämlich ein paar Meter höher, was offensichtlich so noch keiner mitbekommen hat und vielleicht auch nur dem EBA bisher bekannt ist und kann daher logischerweise und kostensparend dazu im Tagebau mit Spundwänden erledigt werden. Auch wegen des besseren Überblicks eben, den die Bahn unten offenbar verloren hat. Und auf die Weise kratzt man an dieser Stelle auch nicht an den dort vorhandenen geologischen Verwerfungen und möglichen Dolinen, die man bei den Erkundungsbohrungen nicht erfasst hat.
Genial, die Bahn, einfach nur noch genial. Man sieht, wie die Intellenz an der Aufgabe ins Unermessliche wächst. Wir brauchen noch viel mehr von solchen Herausforderungen, damit Stuttgart 21 gelingt! Aus der Erde raus an die Oberfläche! Hoch mit dem Ding, sagt sich die Bahn. Der Trog rückt dann nach. Nichts mehr mit der Aufschwemmung des Tiefschrägquermurksbetonkörpers wie schon von Frei Otto befürchtet, denn der kommt jetzt wohl so gut wie oben zu liegen. Da könnte man doch glatt auf die demokratisch und rechtlich nicht legitimierte Idee kommen, gleich ganz oben zu bleiben, oder?!
Aus der Risikoliste Azers wie von Herrn Heydemann die Woche in Fellbacher Bürgerhaus vorgetragen: der Widerstand gegen das Projekt wird als Risiko bezeichnet und hat eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 99%. Kosten dieses Risikos: keine Angaben. Aber bei dem Schwergang der Behörden, der das Projekt verzögern würde, da konnte die Bahn exorbitante Kosten genau beziffern. Immer die anderen sind schuld. Auch beim Nesenbachdüker, dessen Ausführung wie jetzt beim EBA in einer xxten Planänderung von der Bahn beantragt die Stadt so nicht mittragen will: „Fazit des Ordnungsamts: die von der Bahn vorgesehene Fahrstreifenaufteilung werde zu nicht hinnehmbaren Leistungseinbußen am Verkehrsknoten Gebhard-Müller-Platz führen“ l.c. StZ s.o..
Millionenschwerer Schwergang der Behörden zeichnet sich da ab. Genau so, wie von der Bahn prognostiziert. Der kühne Herr Kuhn statt Bahn-Vorturner eben, deswegen. Sag nur noch einer was! Die Bahn schaut in die Glaskugel und sieht genau was kommt! Q.e.d.! Wir sollten ihr einfach mehr vertrauen!
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