Zum „Gutachten zu ausgewählten Untreuefragen im Kontext des Projekts Stuttgart 21 der DB AG“ von Prof. Dr. Jens Bülte (Universität Mannheim)

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– Der Versuch einer Zusammenfassung –

Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Inhalt des Gutachtens zu ausgewählten Untreuefragen im Kontext des Projekts Stuttgart 21, das von Prof. Bülte im April 2018 im Auftrag des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 erstellt wurde. Es wurde nach Aussage von Bündnissprecher Eisenhart von Loeper in der Absicht beauftragt, eine Wahrheitsfindung zu gewinnen, die sich für die Konfliktlösung eignet. Prof. Bülte stellt in seinem Gutachten fest, dass gegen die Verantwortlichen der Deutschen Bahn AG (DB AG) wegen des Anfangsverdachts der Untreue ermittelt werden muss. Das Gutachten liegt inzwischen auch der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vor.

Die Tricksereien bei den Kosten für Stuttgart 21 waren zuerst eher politischer Natur gewesen. Sie bekamen später aber einen anderen Charakter, als sie durch Aufsichtsrat und Vorstand der DB AG fortgeführt wurden. Die DB hat die Rechtsform einer Aktiengesellschaft, also eines privatwirtschaftlichen Unternehmens, und somit gelten dort gesetzliche Regeln, wie zum Beispiel das Aktienrecht, gegen das immer wieder verstoßen wurde. Es kann nicht gesagt werden, ob man den Verantwortlichen vorsätzliches Handeln wird nachweisen können, aber eine offensichtliche Verletzung ihrer Pflichten liegt auf alle Fälle vor.

Hier sei nur ein Beispiel für die besagten Tricksereien genannt: Das Errechnen von angeblichen Einsparpotentialen, die sich jedoch nicht realisieren ließen und die deshalb später in fast derselben Betragshöhe wieder in die Gesamtkosten eingerechnet werden mussten. Nachdem man damit in früheren Jahren erfolgreich die Fortführung von S21 erreicht hatte…

Die Verantwortlichen hatten bei jeder ausdrücklichen Entscheidung zur Projektfortführung etliche Hinweise darauf, dass die von ihnen zugrundegelegten Kostenrechnungen nicht belastbar genug waren, um eine Entscheidung von solcher Tragweite treffen zu können. Sie taten es trotzdem.

Es bestanden zu allen Zeiten – auch in den frühen Jahren des Projektes – bereits erhebliche, zum Beispiel durch Warnungen des Bundesrechnungshofs untermauerte Zweifel an der Korrektheit der offiziellen Gesamtkostenberechnungen. Dem wurde nie ausreichend nachgegangen. In keinem Unternehmen der freien Wirtschaft wären Entscheidungen dieser Art auf solche Weise getroffen worden.

Die Wirtschaftlichkeit des Projektes ist inzwischen definitiv nicht mehr gegeben (belegbare Zweifel daran gab es von Anfang an), es kommt zu einer negativen Eigenkapitalverzinsung. Dadurch entsteht ein Schaden für das Unternehmen und Alternativen bis hin zum Ausstieg hätten ernsthaft geprüft werden müssen, um diesen Schaden zu minimieren. Dies ist nicht geschehen.

Nicht zuletzt die politischen Tricksereien in den Jahren vor 2010 beweisen, dass sich auch die Verantwortlichen der DB AG des Problems der mangelnden Wirtschaftlichkeit des Projekts von Anfang an bewusst waren – sonst hätte es dieser politischen Tricksereien gar nicht bedurft, um die DB AG zum Beginn der S21-Baumaßnahmen zu bewegen. Ein Beispiel für die Überredungsgeschenke durch die Politik war der Große Nahverkehrsvertrag mit dem Land Baden-Württemberg, der der DB AG von 2003 bis 2016 versteckte Subventionen im Umfang von rund 1,2 Mrd. Euro sichern sollte. Wäre S21 ein Gewinnspiel für die DB AG gewesen, wären nicht schon vor Baubeginn solch teure Überredungsmaßnahmen von Seiten der Politik dafür nötig gewesen. Auch dies spricht für eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflichten von Seiten des Vorstands und der Aufsichtsräte zumindest während des weiteren Verlaufs.

Ein weiterer Punkt, der für die Strafbarkeit des Handelns spricht: Da die DB AG privatwirtschaftlich organisiert ist, dürfen sich die Verantwortlichen innerhalb des Konzerns bei ihren Entscheidungen ausdrücklich nicht durch politische Gegebenheiten beeinflussen lassen. Vorstandsmitglieder der DB AG dürfen bei ihren Entscheidungen nur verkehrspolitische und wirtschaftliche Kriterien anlegen. Sie und auch die Aufsichtsratsmitglieder dürfen dabei den unternehmerischen Beurteilungsspielraum nicht verlassen. Entscheidungen dürfen nicht auf eine Weise getroffen werden, die zu Unwirtschaftlichkeit führt, nur weil diese Entscheidungen gerade zum Vorteil der Regierenden politisch opportun sind. Das wäre ein Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflichten. Genau das geschah aber zumindest im Jahr 2013, als (inzwischen erwiedenermaßen!) das Bundeskanzleramt und Teile der Bundesregierung Druck auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder ausübten, um die Weiterführung des Projekts zu gewährleisten. Man erinnere sich: Die Bundeskanzlerin, die sich zuvor für das Projekt ausgesprochen hatte, sollte vor der Bundestagswahl nicht beschädigt werden.

Auch angesichts der Zweifel an der mangelnden Leistungsfähigkeit des S21-Tiefbahnhofs, die bis jetzt nicht einmal ansatzweise ausgeräumt wurden, kann das Festhalten an der Projektfortführung als Untreue eingestuft werden. Gleiches gilt für die Zweifel an der Betriebstauglichkeit des Tiefbahnhofs wegen der gefährlich schrägen Bahnsteige. Sollte es hier ernsthafte Schwierigkeiten geben, wäre der Schaden für die DB AG immens. Und all das wäre bereits zu einem frühen Zeitpunkt bekannt und somit durch einen Ausstieg aus dem Projekt vermeidbar gewesen. Auch das ungenügende Berücksichtigen der speziellen Risiken des Tunnelbaus im Anhydrit (einschließlich später eintretender Schäden während des laufenden Betriebs) sieht Professor Bülte hier sehr kritisch, da zu diesem Bereich keine unabhängigen Berater hinzugezogen worden sind.

Ein interessanter Aspekt ist, dass selbst die im Jahr 2009 begangenen möglichen Untreuetaten noch nicht verjährt wären. Für die Verjährung kommt es auf die Beendigung der Tat an, die erst mit abschließendem Eintritt des endgültigen Schadens vorliegt. Dies ist noch nicht erfolgt.

Prof. Bülte sieht auch die von den DB-Vertretern (inzwischen allen voran DB-Chef Lutz) kolportierten Ausstiegskosten in Höhe von sage und schreibe 7 Mrd. Euro als nicht nachvollziehbar und unstimmig an. Dazu hatte sich herausgestellt, dass bei diesen 7 Mrd. Euro die Kosten für den kompletten Rückbau der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm inbegriffen sind, da PwC wohl der Meinung war, die Neubaustrecke bedinge S21 und ohne S21 sei die Neubaustrecke nicht möglich. Das ist erwiesenermaßen falsch – die Neubaustrecke wird auch ohne S21 – wenn es sein muss, auch vorzeitig – in Betrieb gehen. Für den Betrieb der Neubaustrecke braucht man den S21-Tiefbahnhof in Stuttgart nicht.

(Persönliches Schlusswort:) Auf Basis dieser Fantasiezahlen wird nunmehr ein weiteres Mal die Entscheidung zur Fortführung des Projektes getroffen, sollte nicht irgendwann doch noch Vernunft oder Rechtsstaatlichkeit einkehren und über politisches Gesicht-Wahren-Müssen die Oberhand gewinnen. Ich bin keine Juristin. Deshalb werde ich keine eigene Beurteilung abgeben, ob das Verhalten der Verantwortlichen als strafbar einzustufen ist. Aber ein jeder möge sich selbst fragen, ob das, was hier geschehen ist, falls es doch noch als rechtens angesehen wird, tatsächlich auch richtig war. Die DB AG hat inzwischen fast 20 Mrd. Euro Schulden und eine weitere Steigerung des von ihr selbst zu tragenden Kostenanteils an S21 in mehrfacher Milliardenhöhe wäre absolut fatal für das Unternehmen. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass die DB irgendwann in die Insolvenz getrieben wird.

 

09.05.18 – Marie Laveau

 

Das Gutachten mit zahlreichen Anlagen (insgesamt 330 Seiten) ist hier abrufbar: Gutachten Prof Bülte mit Anlagen ohne Unterschrift

Das Gutachten ohne Anlagen (37 Seiten) ist hier abrufbar: http://www.parkschuetzer.de/assets/termine/2018/Buelte-Gutachten_ohne_Anlagen.pdf